Gilad Shalit, Corporal der IDF, dpa
Die Ohnmacht des Rechts. Die Ohnmacht des Völkerrechts.
Meine Ohnmacht, die ganz einfache Ohnmacht, etwas tun zu müssen und es nicht zu können.
Erstarrt sein gegenüber der Gewalt, die sich durchbricht, mit Wut und mit Zorn, mit Geschossen, die Mauern zum Einsturz bringen, die Menschen töten, die Menschenleben blind zerstören.
Die Gewalt, die hereinbricht mit Panzern, auf Ketten, die die Erde aufwühlen, die ihre Geschützrohre drehen und Feuer ausspucken wie Ungeheuer aus fernen Märchenwelten – doch sie sind Wirklichkeit, sie sind blutige Wirklichkeit, ihr Donnern zerreißt die Ohren.
Neben den Panzern laufen Menschen in Uniformen. Ihre Gesichter sind unter den Helmen nicht zu erkennen. In ihren Händen halten sie Waffen, die das Leben von Menschen auslöschen. Sie müssen ihr Menschsein hinter der Uniform verbergen, um es tun zu können, den anderen Menschen zu töten.
Sie alle beschützt das Menschenrecht.
Sie alle leben unter dem Schutz des Menschenrechts.
Doch jetzt zerstören die einen dieses Recht, von dem sie selbst geschützt werden – in dem Augenblick, in dem sie das Leben der anderen zerstören.
Die Ohnmacht erleben und nicht aufhören können, es zu sagen, es zu schreiben, dass es da ein Völkerrecht gibt, das mir meine Regierung bestätigt hat, dieses Völkerrecht hat Gültigkeit, sie alle haben es unterschrieben, die jetzt zusehen und nichts tun.
Wie können sie nur zusehen und ihre Unterschriften vergessen haben, die sie unter dieses Völkerrecht gesetzt haben.
Diese Unterschrift verpflichtet sie, dieses Völkerrecht einzuhalten, seine Einhaltung durchzusetzen und das unter allen Umständen.
Wie können sie nur so ruhig bleiben ?
Hinter welchen Masken verbergen sie ihre Gesichter ?
Sie tun es schon seit Jahrzehnten.
Sie wissen offensichtlich nicht, was sie mit diesem Völkerrecht anfangen sollen.
Sie finden keinen Anfang.
In meinem Grundgesetz steht, dass dieses Völkerrecht sogar den Gesetzen meines Staates vorgeht.
Daß dieses Völkerrecht jedem Bürger dieses Staates seine Pflichten auferlegt.
Die Gesetze meines Staates muß ich beachten, also auch das Völkerrecht.
Das Völkerrecht sogar vor den Gesetzen meines Staates.
Und wie mache ich das ?
Wie gelingt es mir, dieser Ohnmacht zu entkommen ?
Die Staatsgewalt geht vom Volke aus !
Wo ist diese Gewalt jetzt ? Was tut sie gerade ?
Ich habe meine Gewalt an andere weiter gegeben, damit sie mit dieser Gewalt das Recht schützen. Nicht ich darf diese Gewalt anwenden, obwohl sie von mir ist.
Was tue ich aber, wenn ich sehe, dass die, an die ich diese Gewalt abgegeben habe, getreu meiner Verfassung, mit dieser Gewalt nicht das Recht beschützen ?
Mein Verstand ist in meinem Kopf ein Gefangener.
Doch ich habe ihn nicht dort eingesperrt.
Sie haben ihn dort eingesperrt, an die ich meine Gewalt abgegeben habe.
Ich muß etwas tun, aber ich habe diese Gewalt nicht mehr.
Ich muß mich einer fremden Gewalt mit meiner Ohnmacht entgegen stellen.
Die Person, die meine Regierung führt, hat diese Gewalt jetzt. Die Verfassung gibt ihr diese Gewalt, um das Recht zu beschützen.
Doch diese Person sagt jetzt: Gewalt ist keine Lösung.
Wozu ist dann diese Verfassung gut, die mir meine Gewalt abnimmt, um sie zum Schutz des Rechtes anzuwenden, es aber dann nicht getan wird ?
Wenn meine Regierung mit meiner Gewalt das Völkerrecht nicht beschützt ?
Was tut meine Regierung mit meiner Gewalt ?
Diese Ohnmacht erdrückt meinen Verstand.
Es geschieht Unrecht – und sie haben mir die Gewalt genommen, das Recht zu beschützen – und die, die meine Gewalt haben, tun es nicht.
Obwohl sie die Gesetze meines Staates ebenfalls dazu verpflichten, darauf haben sie alle einen Eid geschworen, mit aller Staatsgewalt das Recht zu schützen, nicht nur die Rechte ihrer Bürger, sondern die Rechte aller Menschen.
Deswegen ist das Völkerrecht geschaffen worden, damit die Staaten mit der Gewalt ihrer Bürger die Menschen außerhalb des eigenen Staates ebenso beschützen sollen..
Denn diese Menschenrechte sind unveräußerlich.
Jeder Mensch erhält diese Rechte durch seine Geburt.
Nur Menschen können diese Menschen-Rechte vor den Menschen beschützen, die sie nicht anerkennen wollen.
Selbst meiner eigenen Regierung gegenüber fühle ich mich jetzt ohnmächtig.
Ich sehe, wie sie die Gewalt, die ich ihr gegeben habe, nicht ihrer Pflicht gehorchend zum Schutz der Rechte und des Lebens von bedrängten Menschen in einem anderen Land gebraucht.
Was tue ich mit meiner Ohnmacht ?
Meine Ohnmacht lässt mein Gewissen nicht ruhen.
4 Tammuz 5766 * 30. Juni 2006 © Heinz Kobald