Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Lazarus in Palästina - Im 21. Jahrhundert
Ad Deirat, West Bank, Dump, <br />
Muhammad Ibrahim, above, tested a watch.  <br />
Rina Castelnuovo for The New York TimesLazarus im Palästina des 21. Jahrhunderts



Ad Deirat, West Bank, Dump near Hebron
Muhammad Ibrahim, above, tested a watch
Foto: Rina Castelnuovo for The New York Times




Lazarus im Palästina des 21. Jahrhunderts

Steven Erlangers Sprache
im Vergleich
zu Thorsten Schmitz


Wörter sprechen durch ihren Gebrauch

Worte erhalten ihren lebenden Sinn durch die Art ihres Gebrauchs.

Vorweg zur Wahl der Worte einige Auffälligkeiten in Zahlen ausgedrückt:
Steven Erlanger verwendet die Worte "trash" 6 x und "garbage" 11 x auf 3 DIN A4 Seiten in 1.443 Wörtern. ( 1 )

Die Schmitz'sche "Wort-Ausbeute" zeigt folgendes "Wort-Bild":
Das Wort "Dreck" steht 10 x, "Abfall" 11 x, "Unrat" 2 x und "Müll" 46 x auf 4 DIN A4 Seiten in 1.998 Wörtern. ( 3 ) Gezählt sind diese Wörter auch in Zusammensetzungen.

Damit weist die Schmitz'sche "Wort-Ausbeute" unter Berücksichtigung der Verwendung von einer mit einem Drittel höheren Anzahl von Worten für den Gesamttext noch einen "Überhang" bei den "beschreibenden" Worten im Verhältnis zu dem Text von Erlanger auf.

Schmitz mag ganz offensichtlich sehr drastische Bilder.
Seine Dichte des Unbeschreibbaren häuft sich zu Spitzenwerten.
Dem gegenüber ist jedoch immer noch eine "ebensolche Klarheit und Deutlichkeit" bei den Hinweisen auf die Artikel des Völkerrechts zu vermissen.
Hat Schmitz auch das Völkerrecht unter dem beschriebenen Ekel begraben?

Steven Erlanger schreibt das englische Wort "mud" für "Dreck" kein einziges mal!
Er denkt nicht einmal an "waste" für "Abfall".
Steven Erlanger spricht von "trash" oder "garbage" für "Müll und Schund".

Man mag sich als Konsument des Journalismus in Deutschland eine nachdenkliche Frage stellen.
Ist die Deutsche Sprache dem Dreck so nahe, daß sie nur mit diesem Wort leben kann?
Muß in "unterrichtenden" Nachrichten schaufelweise Müll aufgehäuft werden?

Die Menschlichkeit in den Wörtern einer Sprache

Sprache unterscheidet sich nicht nur durch Wörter, sondern auch durch Menschlichkeit.

Zitat:
»Most dig diligently for metal.« ( 1 )

Erlanger beschreibt die jungen "Goldgräber" als fleißig!

Zitat:
»He had found a plastic pack of crackers;
he chewed them slowly, almost thoughtfully.«
( 1 )

Aus den Worten von Erlanger klingt Freundlichkeit, eine empfindsame Menschlichkeit über den gedankenvollen Genuß einer Packung Cracker.

Schmitz beschreibt dagegen den Vorgang des Findens wie ein beinahe ertappter "besessener Voyeur" und verbreitet über diesen Genuß "süßlichen Gestank".

Zitat:
»Machmuds Hände tauchen in einen stinkenden, feuchten, grauen, gärenden Müllhaufen aus Essensresten.
Er findet eine fast leere Colaflasche und trinkt den Rest.
In der Luft hängt der süßliche Gestank verwesender Fleischabfälle.«
( 3 )

Die Sprache von Schmitz kippt auf die Seite der Verachtung gegen die Menschen, bei denen er eine Verachtung gegen wieder andere Menschen beschreibt.

Zitat:
»Selbst wenn sie die jüdischen Siedler verachten,
so ist deren Unrat doch von größtem Wert.«
( 3 )

So beginnt Schmitz bereits in der Überschrift mit dem "Großen Wert" des "Unrats" der "Verachteten Siedler" für die "Müll"-Kinder.

Erlanger zeigt den Leben erhaltenden Wert der Abfälle aus den Siedlungen - und - den kuriosen Unterhaltungswert, der in ihnen verborgen sein kann.
Von einer Verachtung gegen Jüdische Siedler berichtet Erlanger kein Wort.

Zitat:
»The real treasures, they say,
come from the Israeli settlements in this area of the occupied West Bank.
It is settler trash that keeps them alive — and, in an odd way, entertained.«
( 1 )

Erlanger ist der Worte mächtig, die sich um die Erhaltung des Lebens bemühen.
Schmitz dagegen starrt nur in die dem Dreck der jüdischen Siedler entgegen fiebernden Augen.

Zitat:
»In Ad Deirat prallt die erste Welt Israels auf die Dritte Welt der Palästinenser.
( ... ) Mit gierigen Blicken und mit Zigaretten in den Mundwinkeln wühlen sie im Abfall ihrer palästinensischen Landsleute.
Dem Dreck der jüdischen Siedler aber fiebern sie entgegen.«
( 3 )

Erlanger spricht auch von dem besetzten West-Jordanland.
Schmitz gräbt mit seinen Worten die unversöhnliche Trennlinie zwischen beide Völker.

Zitat:
»Die Palästinenser wollen, dass die jüdischen Siedler verschwinden.
Die jüdischen Siedler hätten das Westjordanland am liebsten für sich allein.«
( 3 )

Zu welchem "Grad" von Menschlichkeit Schmitz sich zu neigen vermag, drückt er gleich zu Beginn im ersten Absatz bei der Schilderung einer Kindergestalt aus. Er setzt abschließend den I-Punkt.

Zitat:
»Machmud stinkt.« ( 3 )

Für Erlanger stinkt nicht das Kind, sondern nur ein Kleidungsstück!
Ebenfalls Inhalt des ersten Absatzes bei Erlanger!

Zitat:
» ... or a stinking T-shirt.« ( 1 )

Zu Beginn der beiden Texte ist auffallend, welche menschliche Aufmerksamkeit Erlanger den Kindern zukommen lässt.

Zitat:
»Most dig diligently ... « ( 1 )

Gleich zu Beginn ist diese Weichenstellung für die Bereitschaft einer menschlichen Aufnahmefähigkeit festzustellen. Was Schmitz im Gegensatz zu der von Erlanger beobachteten Fleißigkeit feststellt:

Zitat:
»Machmud stinkt.« ( 3 )

Diese Be-urteilung wird zur Ver-urteilung bereit gestellt.

Dagegen kann Schmitz auf etwas nicht stolz sein, was er gar nicht gesehen hat.

Zitat:
»Und die Kinder haben entweder nie eine Schule besucht oder den Besuch abgebrochen. « ( 3 )

Steven Erlanger weiß dazu.

Zitat:
»Mr. Ammour has eight children.
But he is known as Abu Fadi, the father of Fadi, 19, his eldest son, one of triplets.
Fadi, who has the bright green eyes of his clan, is trying to go to college.
He has worked here since he was little, he said, along with his father and two brothers.
He started college, then quit for lack of money.
Now, he is taking courses in the evening, through Al Quds Open University in Yatta, along with his brother Tamer.
Everyone in this little world is proud of them.«
( 1 )

Und wo hat Fadi in der Wohnung seiner Eltern den Platz zum Lernen?

Zitat:
»The Ammour home in Yatta has two rooms for the family of 10 and no windows, just holes in the walls covered with yellow fabric that does little to block the sun.
The larger room is covered in mattresses.«
( 1 )

Und was weiß Thorsten Schmitz dazu !

Zitat:
»Man hatte uns gewarnt vor den Kindern, die auf dem Müllberg wohnen und in ihm wühlen. Der Müllfriedhof in der Wüste des Westjordanlands sei nichts für Besucher. Man werde uns mit Dreck bewerfen, beklauen, zusammenschlagen. Die Müllkinder seien verrückt, man könne nicht mit ihnen reden. Sie hätten das Sprechen verlernt.« ( 3 )

Wäre das zu verwundern, wenn sie gezwungen sind, sich den Mund zuzubinden?
Steven Erlanger ist von denselben Kindern offensichtlich nicht bedroht worden.

Zitat:
» ... to cover their mouths from the fumes and acrid smoke of the nearly nightly fires that burn the picked-over garbage.« ( 1 )

Zitat:
»Many of the boys seem malnourished,
with filmy eyes staring from filthy faces.«
( 1 )

Erlanger hat noch einen Blick für die Folgen auf die Gesundheit der Jugendlichen.
Schmitz dagegen hat das Problem der giftigen Rauchschwaden auf einer anderen Seite entdeckt.

Zitat:
»Bis vor kurzem ließ die Stadtverwaltung von Hebron den Müll noch verbrennen.
Doch die jüdischen Bewohner aus den umliegenden Siedlungen beschwerten sich bei der Armee über die Rauchsäulen.
Die Feuerschwaden schadeten der Gesundheit, mokierte sich der Siedlerrat.
Umgehend wies die Armee die Müll-Abteilung in der palästinensischen Stadtverwaltung von Hebron an, das Verbrennen des Drecks einzustellen.
Die Bagger kippen jetzt den durchwühlten Abfall einfach in ausgetrocknete Flusstäler, die den Müllplatz umschließen.«
( 3 )

Vermutungen über die Ausgangsposition von Schmitz

Ob Schmitz tatsächlich in Ad Deirat "zu Besuch" war?
Sein geistiger Output ist ihm demnach nur sehr "einseitig" gelungen.
Dagegen zeigt Erlanger immerhin den Mut, die Aufmerksamkeit des Lesers für eine Ursache an diesen "Zuständen" zu wecken.

Zitat:
»For all the agonizing about nearby Hebron
how far Israel should go
to resolve competing Jewish and Palestinian claims to the city —
this desolate spot
is a symbol of the impact of Jewish settlement
in the occupied West Bank.«
( 1 )

Schmitz befasst sich bevorzugt mit der Ausmalung eines gerade noch erträglichen Bildes der "Abstossung".
Der Schlag, der das besetzte Land mit der Jüdischen Besiedlung getroffen hat, ist für Schmitz offenbar nicht "erkennbar".
Er ist zu keiner - nicht der geringsten - Andeutung von ursächlichen Zusammenhängen bereit.
Ein grundsätzlicher Verstoß gegen die Pflichten eines Journalisten!

Auch die in Deutschland jahrzehntelang "ein-geübte" Einstellung zu einer Problemlösung in Palästina ist eine tatkräftige Verhinderung des Friedens in diesem geplagten ( "Heiligen" ) Land und seinen darauf geschundenen Menschen.

Die unerreichbare Vorlage

Als Vorlage diente Schmitz vermutlich der Artikel von Steven Erlanger in der NYT vom 2. September 2007. ( 1 )
Diese "Vorlage" wurde dann offenbar von Schmitz in der SZ vom 26. Oktober in die Deutsche Sprache "übersetzt". ( 3 )
Der Artikel von Erlanger lag u.U. sogar seit dem 10. September als NYT-Beilage der SZ auf seinem Schreibtisch. ( 2 )

Schmitz macht daraus eine schaurige Schilderung der Wirklichkeit, die jedoch trotzdem nur wie ein schmutziges und zerfleddertes Bilderbuch da liegt.
Kein Wort darüber, daß die Wasser verschwendenden Sprinkleranlagen der Jüdischen Siedler im Land der Palästinenser alle Wasservorkommen überwiegend für sich allein ausnutzen.

Zitat:
» ... verlor die sandbraune Landschaft auf einen Schlag ihren Postkartenreiz.
( ... ) Eben noch fuhr man an jüdischen Siedlungen vorbei,
in denen Sprinkleranlagen dafür sorgen,
dass Wiesen grün bleiben und Bougainvillea-Büsche blühen.«
( 3 )

Das Elend wird als ein Gesetz der Natur dargestellt.
Jeder Hinweis auf die Pflichten einer Besatzungsmacht nach dem Völkerrecht zur Versorgung der Bevölkerung in den von ihr besetzten Gebieten - fehlt seit Jahrzehnten!

Oder ist diese Pflicht Israels mit der "Einstellung" von Ammour und seinem ältesten Sohn Fadi "erfüllt"?

Mr. Ammour said:
»Whoever works in the garbage is garbage himself.« ( 1 )

Fadi, 19, his eldest son:
»Good things come out of the garbage.« ( 1 )

Oder können diese Worte das Gewissen "beruhigen"?

»This dump has become a lifeline.« ( 1 )


Der Journalismus Deutschlands vergisst das Völkerrecht

Wie sollen Deutsche Journalisten mit dieser "Vergesslichkeit" zur Verarbeitung des Völkermords an sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten in Deutschland vor über 60 Jahren beitragen?
Ist doch dieses Völkerrecht gerade wegen der Ent-Menschtheit der Nationalszozialisten bei der Verfolgung ihrer Ethnischen Vernichtung der Juden in Europa geschrieben worden!

Erinnern an den Holocaust - JA
- doch -
zum Vergessen des Völkerrechts - NEIN !

Wie zwiegespalten muß diese "Verarbeitung" der stets wiederholt angemahnten Vergangenheit demnach "gelingen"?
Frau Dr. Merkel sollte sich anstelle des von ihr wiederholt neu vorgetragenen Themas "Toleranz" ernsthaft um ein anderes bemühen - eines, das Gerechtigkeit und Frieden in Palästina stiftet!


21 Cheshvan 5768 * Allerseelen 2007 © Heinz Kobald


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( 1 ) West Bank Boys Dig a Living in Settler Trash
By STEVEN ERLANGER, Published: September 2, 2007, NYT

( 2 ) New York Times, 2007, September 10,
als Beilage der SZ
To Live, Boys Scour West Bank Trash
By STEVEN ERLANGER

( 3 ) Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 247, 26. Oktober 2007, Seite 3
Besuch bei den palästinensischen Müll-Kindern von Ad Deirat
Leben auf der Kippe
Sie haben nichts als den Abfall des Westjordanlandes - und
selbst wenn sie die jüdischen Siedler verachten,
so ist deren Unrat doch von größtem Wert
Von Thorsten Schmitz