Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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19.3.1970: Willy Brandt in Erfurt
"Erfurt ist - so hoffen wir - ein Beginn"
"Ich sehe es jedoch als meine Pflicht an,
den Versuch zu wagen."


19.3.1970: Willy Brandt in Erfurt
"Erfurt ist - so hoffen wir - ein Beginn"


"Ich sehe es jedoch als meine Pflicht an, den Versuch zu wagen, als meine Pflicht, das Gespräch mit der Regierung der DDR zu beginnen.
Sobald ich am Freitag zurück bin, werde ich dem Deutschen Bundestag und damit der deutschen Öffentlichkeit berichten. Ich hoffe natürlich, dass ich in diesem Bericht werde sagen können, es hätten sich erste Ansätze für einen innerdeutschen Dialog ergeben.
Aber auch wenn dies nicht der Fall sein würde:
Ich halte diese Reise nach Erfurt dennoch für notwendig. Niemals dürfen wir uns dem Vorwurf aussetzen, wir hätten nicht alles versucht, um die Lage Deutschlands und die Lage in Deutschland zu verbessern."
Das sagte Willy Brandt, der deutsche Bundeskanzler, am Vorabend seiner Reise nach Erfurt. Dort wird er am 19. März 1970 Gespräche mit Willi Stoph, dem Ministerpräsidenten der DDR, führen.

Es ist die erste deutsch-deutsche Begegnung auf dieser Ebene seit dem Treffen der deutschen Ministerpräsidenten in München 1947. Entsprechend hoch sind die Erwartungen der Menschen im geteilten Deutschland; Politiker dagegen warnen davor, von diesem Treffen zuviel zu erwarten.
Brandt trifft in einem Sonderzug in der thüringischen Stadt ein, wird von Stoph begrüßt. Stoph und Brandt treten auf den Bahnhofsvorplatz hinaus.
Tausende von Menschen jubeln ihnen zu. Sie gehen hinüber zum Hotel Erfurter Hof.
"Die Bevölkerung hat die Polizeiabsperrungen überrannt und viele stehen jetzt 50 Meter vor dem Eingang.
Und jetzt spielt sich vor uns eine turbulente Szene ab.
In Sprechchören wird nach Willy gerufen - Sie hören es selbst -, nicht Willi Stoph, sondern Willy Brandt.
Die Polizei hat erhebliche Schwierigkeiten, diese spontane Kundgebung der Erfurter Bevölkerung abzudrängen.
In diesem Augenblick, umjubelt von der Bevölkerung, tritt Willy Brandt ans Fenster des Erfurter Hofs, Hände werden geschwenkt, Mützen werden in die Luft geworfen."
Willy Brandt wird später schreiben:
"Conrad Ahlers (der Regierungssprecher) kam nach ein paar Minuten in mein Zimmer, in dem ich mich frisch machen wollte, um mir zu berichten, die Menge rufe in immer drängenderen Sprechchören:
"Willy Brandt ans Fenster!"
Ich zögerte; dann ging ich doch ans Fenster und blickte auf die erregten und hoffenden Menschen: sie hatten sich das Recht zu einer spontanen Kundgebung genommen.
Für einen Augenblick fühlten sie sich frei genug, ihre Gefühle zu zeigen.
Ich war bewegt.
Doch ich hatte das Geschick dieser Menschen zu bedenken:
ich würde anderntags wieder in Bonn sein, sie nicht.
(...)
So mahnte ich durch eine Bewegung meiner Hände zur Zurückhaltung. Man hat mich verstanden. Die Menge wurde stumm. Ich wandte mich schweren Herzens ab."

Danach zeigt sich in Erfurt kein Mensch mehr, der Brandt zujubelt.
Die Staatssicherheit der DDR hat wieder alles fest im Griff.
Stoph und Brandt sprechen miteinander. Die DDR möchte völkerrechtlich anerkannt werden; die Bundesrepublik verlangt mehr Freizügigkeit für die Menschen.

Nach Bonn zurückgekehrt, gibt der Bundeskanzler im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab:

"Die Reise nach Erfurt war richtig, sie war notwendig und sie war nützlich.
Dass sie nützlich war, haben übrigens Herr Stoph und ich, unbeschadet unserer starken Meinungsverschiedenheiten, übereinstimmend festgestellt.
Es war von vornherein klar, dass es sich in Erfurt nur um einen beginnenden Gedankenaustausch handeln konnte, bei dem die tiefgreifenden Differenzen zwischen den beiden Seiten offen zutage treten mussten.
Niemand konnte erwarten, dass über generelle Feststellungen zur Sicherung des Friedens und über die Erörterung einiger praktischer Fragen hinaus, eine Annäherung der Standpunkte erreicht werden könnte.
Und niemand hat dies erwartet.
Es wird zahlreicher solcher Gespräche auf welchen Ebenen auch immer bedürfen, wenn wir vorwärts kommen und eine Verbesserung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten in Deutschland erreichen wollen."

Der erste Schritt zum Dialog im geteilten Deutschland ist getan.
Die nächste Station auf dem Weg der Entspannung ist Stophs Gegenbesuch in Kassel ...

Autor: Claus-Dieter Gersch

Kalenderblatt







Egon Bahr, Foto: dpa

Friedenspreis für Bahr

Der frühere SPD-Kanzleramtsminister
Egon Bahr
hat in Göttingen den Friedenspreis 2008 erhalten.
Der 85- Jährige werde für sein "herausragendes politisches Lebenswerk" und
seinen großen Einsatz "für nachhaltigen Frieden" gewürdigt,
heißt es in der Würdigung der Stiftung Roland Röhl, die den Preis verleiht.
In den 1970er Jahren sei Bahr
"Vordenker und Architekt der Ost-, Entspannungs- und Friedenspolitik Willy Brandts gewesen".
Als "Baumeister der Ostverträge"
habe der SPD-Politiker den Grundstein
zur Öffnung des Eisernen Vorhanges

zwischen dem Ostblock und der westlichen Welt gelegt
und damit schon zu Lebzeiten historische Bedeutung erlangt.
dpa

Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 53, 03. März 2008, Seite 6

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Zum Vergleich:

Die derzeitige Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland hat in ihren ersten beiden Regierungsjahren einen Ehren-Doktorhut der Philosopie einer Universität in Israel erhalten.
Welche Ehrungen für seine Friedensbemühungen ein Kanzleramtsminister der derzeitigen Bundesregierung erhalten hat ist mir nicht bekannt.

Moshe Zimmermanns
Anerkennung für Egon Bahr