In Bil'in demonstrieren Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen die Trenn-Mauer
Im Zentrum des Dorfes an der Moschee treffen sich die Familien aus Bil'in von den Großeltern bis zu den Enkeln. Ganze Familien sind gekommen. In Bil'in haben 1.700 Palästinenser ihr Zuhause. Die Frauen verhüllen ihre Haare mit Kopftüchern. Die Männer tragen Lederjacken.
Seit einem Jahr sind auch junge Israelis jeden Freitag in der Westbank dabei, um gegen den Bau der Mauer im Dorf Bil'in zu demonstrieren. Sogar ältere Israelis halten Schilder hoch.
Die angereisten Israelis sind an ihren Jeans zu erkennen, auf dem Rücken den Rucksack und am Ohr das Handy.
Sie gehören zur jüdisch-arabischen Gruppe "Taayush" (Koexistenz) oder zur Internationalen Solidaritätsbewegung (ISM). Wie der 31-jährige Dan Tsahor aus Tel Aviv.
Alle Hände greifen jetzt nach der 30 Meter langen grün-weiß-schwarzen Stoffbahn. Junge und Alte, Israelis und Palästinenser heben sie über ihre Köpfe. So schwebt die Fahne über dem Demonstrationszug. Die an der Spitze gehen rollen das rote Dreieck auf. So tragen sie alle die Flagge Palästinas den Soldaten entgegen.
Der vom israelischen Verteidigungsministerium markierte Mauerverlauf trennt die Bewohner von Bil'in von 230.000 Hektar.
Ihnen wird durch die Mauer mehr als die Hälfte ihres Landes weggenommen.
Die Trennlinie ist planiert. Den Drahtzaun bewachen israelische Soldaten. Hier geht es um mehr als um Landraub.
Dan Tsahor aus Tel Aviv kommt so oft er kann, weil hier Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen ein Ziel kämpfen.
"Wir geben hier keine Almosen. Wir kämpfen gegen die Mauer. Gegen die Trennung von Israelis und Palästinensern."
Die israelische Friedensorganisation "Gush Shalom" ist hier schon seit 1970 aktiv. Dan Tsahor aus Tel Aviv, mit seinen blonden kurzen Haaren, sagt,
"So an die 250 Teilnehmer kommen jede Woche nach Bil'in."
Der Demonstrationszug schlängelt sich vorbei an Olivenhainen. Das Ziel ist der helle Streifen, der die bergige Landschaft durchschneidet.
Schon von weitem ist zu sehen, wie sich dort die Soldaten aufstellen.
Von Beginn an gilt für die Demonstrationen absolute Gewaltlosigkeit.
"Doch das Ruhighalten fällt nicht immer leicht", sagt Ronen Eidelmann.
Zur Zeit werden acht Palästinenser aus Bil'in in israelischen Gefängnissen festgehalten - für Wochen, für Monate - ohne Anklage, ohne Verhandlung vor einem ordentlichen Gericht.
"Die Frage, ob sie das Steine-Werfen der Jungen aus dem Dorf zulassen sollen, wird immer wieder heftig diskutiert."
Der Palästinenser Mansour Mansour ist 29 und er wird sehr ernst, wenn er erklärt, warum er in all den Jahren seiner politischen Tätigkeit nie an die militanten Methoden der Hamas gedacht hat.
"Der gewaltlose Kampf ist der stärkste Kampf! Und ich will leben." Er studiert Journalismus an der Birzeit Universität.
Ein 19-jähriger Israeli ist das erste Mal in Bil'in dabei.
"Ich habe lange nachgedacht, bevor ich es wagte, nach Bil'in zu fahren."
"Es ist doch das Land der Palästinenser und sie sind Araber … "
Ein vielstimmiges Lachen antwortet ihm.
Die Mauern, die in Jahrzehnten in den Köpfen der beiden Völker entstanden sind, kennt jeder hier nur zu gut.
Die Organisation der Protestzüge übernehmen die "Anarchisten gegen die Mauer" zusammen mit dem "Volkskomitee gegen die Mauer" aus Bil'in. Sie bereiten die Begegnung mit den Soldaten der Israelischen Besatzung vor.
Ronen Eidelmann ist jetzt 34 Jahre alt. Er ist Grafiker. Im Alter von 20 Jahren kam er in die IDF. Bei seinem Armeedienst in den besetzten Gebieten enstanden seine Zweifel an der Berechtigung der israelischen Besatzung.
"Zu Beginn der Demonstrationen hat die Armee auf die Menschen in den Protestzügen geschossen."
"Dass Israelis auf Israelis schießen, hatte es vor den Protesten gegen die Mauer nicht gegeben."
"Jetzt schießt die Armee mit Salz- und Gummigeschossen."
"Die brennen sehr schmerzhaft, wenn sie treffen.
In einem Prozess hat ein israelisches Gericht das "übertrieben scharfe Vorgehen" der IDF verurteilt."
Am Mauerstreifen stehen die Soldaten in einer langen Reihe.
Über der grünen Uniform tragen sie Panzerwesten und schwarze Schutzhelme. Hinter den durchsichtigen Plastikschildern halten sie ihre Schlagstöcke und die Gewehre für den Einsatz bereit.
Eine Gruppe untergehakter Palästinenser und Israelis steht ihnen gegenüber und ruft ihnen zu: "Baut Brücken, nicht Mauern!"
Auch das schlohweiße Haar von Uri Avnery leuchtet auf. Er ist der Gründer von Gush Shalom. Er klopft in einer Gruppe mit Steinen auf die Eisenabsperrung des Zauns. Ihr Hämmern verfällt in einen harten Rhythmus.
Aus der Reihe der Soldaten wird Tränengas abgeschossen. Mit einem dumpfen Aufprall schlagen die Geschoße in die Erde.
Alles läuft auseinander. Die Demonstration ist vorbei. Diesmal wurde keiner von ihnen festgenommen.
Bei anbrechender Dunkelheit steigen die Israelis in ihre Busse und fahren zu ihren Familien zurück - zur Feier des Schabbat.
Jenseits der Sperranlage zeigt Wadschi den Berghang hinunter.
Dort liegt jetzt sein Land, unerreichbar für ihn. Einige der jetzt abgeschnittenen Olivenbäume, die dort am Boden liegen, stammten noch aus der Zeit der Römer.
"Wenn ich das Bild sehe, krampft mein Herz."
Der kurze Bart im Gesicht von Wadschi ist weiß geworden. Er ist jetzt 49 Jahre alt. Die Israelische Regierung hat ihm 400 Hektar Land für die Ernährung seiner zehn Kinder weggenommen.
Früher arbeitete er als Bauingenieur.
Jetzt darf seine ganze Familie in Israel nicht mehr arbeiten. Eine dieser sog. "Sicherheitsmaßnahmen", die das Militär über eine ganze Familie verhängt. Wadschis Sohn wurde auf einer Demonstration angeschossen und ist seitdem an den Rollstuhl gebunden.
Doch den Bewohnern von Bil'in muss der Zugang zu ihrem Land gewährt werden. Das entschied ein Gericht Israels. Die Bewohner von Bil'in hatten ihre Klagen gegen diesen Landraub erhoben.
In nicht allzu großer Entfernung stehen die Plattenbauten der jüdischen Siedlung Matetiahu auf dem Land von Bil'in.
Vor wenigen Monaten kam eine überraschende Tatsache ans Tageslicht.
Die Unternehmen "Green Park" und "Green Mount" aus Kanada bauten auf dem Land von Bil'in sogar nach israelischem Gesetz illegal. Sie hatten die Bau-Erlaubnis nur von der regionalen israelischen Verwaltung erhalten.
Nach dem Plan der Regierung in Jerusalem sollen in Matetiahu 150.000 Israelis leben.
Im Augenblick wohnen hier keine ideologischen Hardliner, sondern sozial Bedürftige zu niedrigen Mietpreisen.
Die Unternehmen aus Kanada und "Chefziba" aus Israel wollen sich das Land für ihre Baugeschäfte aneignen.
Der Anwalt Michal Sfard streitet für die Bewohner von Bil'in, um dieses Geschäft in der Höhe von "Milliarden von Dollar" zu verhindern.
Das israelische Gericht hat das Verteidigungsministerium zu einer Stellungnahme für die Klage über den Landraub aufgefordert.
Danach wird das Höchste Gericht entscheiden, ob der Verlauf der Mauer geändert wird oder nicht.
Ein Jahr Kampf in Bil'in erzwang zwar nicht den Fall der Mauer.
Einiges wurde trotzdem erreicht:
Der Weiterbau an den Siedlungen ist eingestellt, der Durchgang durch die Mauer ist offen - und der Landraub von Bil'in erhielt Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit.
Auch wenn die Fahrzeuge noch zwischen Betonpfosten hindurch kurven und durch eigens ausgehobene Löcher schaukeln müssen.
"Die IDF will uns mit diesen Hindernissen das Durchfahren erschweren."
Vielleicht ein noch größerer Sieg ist das Miteinander der Israelis und der Palästinenser.
Quelle: "Baut Brücken, nicht Mauern!" -
Im Dorf Bil'in kämpfen Israelis und Palästinenser gemeinsam gegen die Sperranlage, von Charlotte Misselwitz in Bil'in
Frankfurter Rundschau online 2006, Datum: 04.03.2006
Warum wird über derartiges Geschehen in Palästina so wenig in der Deutschen Presse berichtet?
Israelis demonstrieren gegen die Mauer, die sich ihre Regierung weigert, abzureißen! Wie es das Gutachten des Internationalen Gerichtshofes von 2004 fordert.
In Bil'in demonstrieren Israelis gemeinsam mit Palästinensern !
Warum ist das nur in der Frankfurter Rundschau zu lesen ?
Ist der Deutschen Presse für diese Berichte ein Maulkorb umgebunden worden ?
Oder besteht für derartige Nachrichten eine Begrenzung in der Anzahl der Artikel oder auf bestimmte Zeitungen?
Das kann nicht sein, seitdem die Frau Bundeskanzlerin im Februar 2006 bestätigte, die IV. Genfer Konvention von 1949 gilt auch in den besetzten Gebieten Palästinas.
Doch warum spricht sie selbst in ihren Reden überwiegend die Gewalt der Hamas an und scheint sich der Gewalt der Besatzung durch Israels Armee nicht im gleichen Maße bewußt zu sein ?
Und üben z.B auch die Salz- und Gummigeschoße der Soldaten der IDF keine Gewalt aus ?
Oder die Wegnahme von Land, das für die Ernährung von Familien existenznotwendig ist ?
Wenn die Mauer hier zu Unrecht steht, dann ist auch die Anwesenheit der Soldaten ein verurteilungswerter Tatbestand des Unrechts.
Wie viel mehr Unrecht und unrechte Gewalt beinhalten erst dann ihre gesamten hier durchgeführten Handlungen?
Insbesondere das Abfeuern von tödlichen Schüssen auf friedliche Demonstranten ?
Artikel 3 der IV. Genfer Konvention
Die Palästinenser verteidigen hier nur auf gewaltlose Art ihre bereits international anerkannten und bestätigten Rechte auf ihr Land.
Kein israelischer Soldat kann für keine seiner unrechtmäßigen Handlungenauf dem Land der Palästinenser irgendeinen Rechtsschutz beanspruchen.
Weil es der Besatzungsmacht vom Völkerrecht verboten ist, die eigene Bevölkerung in den besetzten Gebieten anzusiedeln.
Artikel 49 Abs. 6 der IV. Genfer Konvention 1949
Oder sogar das übergeordnete Recht der Selbstverteidigung in Anspruch nehmen.
Er mag sich zwar auf die Befehlskette berufen, in die er eingereiht ist.
Jedoch bietet sie seit den Nürnberger Prozessen keinen unbedingten Schutz vor Verurteilung, soweit sich die Handlung des Soldaten aufgrund eines unrechtmäßigen Befehls den Gesetzen der Menschlichkeit widersetzt.
Artikel 27 der IV. Genfer Konvention
z.B. Steine werfende Palästinenser zu erschießen.
Im Oktober 1990 erschossen israelische Polizisten bei Zusammenstößen rund 20 Palästinenser. Einige Araber hatten von oben Steine auf die betenden Juden vor der Klagemauer geworfen.
Die Europäischen Demokratien tun wenig bis nichts gegen die Gewalt der Israelischen Besatzung in Palästina.
Sie verfallen dem Irrtum, sich mit Millionen von Euros z.B. auf die Konten der Stromlieferanten für Palästina von ihrer Verpflichtung nach Artikel 1 der IV. Genfer Konvention, »sie unter allen Umständen einzuhalten und durchzusetzen«, frei kaufen zu können.
Sie übernehmen sogar eine ganz andersartige Verpflichtung des Völkerrechts, der sich die Regierung Israels ebenfalls verweigert.
Israel als Besatzungsmacht ist nach Artikel 55 der IV. Genfer Konvention zur umfassenden Versorgung der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten verpflichtet.
Daneben gilt besonders Artikel 52 der IV. Genfer Konvention "Alle Massnahmen, die darauf abzielen, Arbeitslosigkeit zu schaffen, sind verboten."
Die Bundeskanzlerin bestimmt die Richtlinien der Politik. Doch auch sie kann dies nur im Rahmen der Vorgaben unseres GG tun.
Die Bevorzugung des einen Beteiligten an dem Kampf um das Land gegenüber dem anderen wird diesem Anspruch in Art. 1 und 25 GG, dem Frieden durch Schaffung von Gerechtigkeit zu dienen, jedoch nicht ungeschmälert gerecht.
8 Adar 5766 * 8. März 2006 © Heinz Kobald