TTIP - Vattenfall gegen Deutschland
Ende 2014 traf eine Investorenklage erstmals Österreich.
Der Haupteigentümer der Meinl Bank klagt gegen das Land
vor einem internationalen Schiedsgericht,
weil er sich durch vermeintlich rechtswidrige Handlungen der Behörden
um mindestens 200 Millionen Euro geschädigt sieht,
wie der ORF berichtete.
Der Kläger stützt sich dabei auf ein Investitionsschutzabkommen
zwischen Österreich und Malta.
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Hintergrund der Eskalation ist offenbar
die angekündigte Anklage gegen Verantwortliche der Bank,
denen Untreue durch die Ausschüttung einer hohen Sonderdividende vorgeworfen wird.
Ausgerechnet ein "Investor", der im Verdacht stehe,
tausende Anleger systematisch abgezockt zu haben,
wolle das Land nun aufgrund eines Abkommens mit einer Steueroase verklagen,
kritisiert das österreichische Bündnis TTIP stoppen.
Hier werde versucht,
"Investorenschutz für Spekulationsschutz zu missbrauchen."
Getroffen hat es auch Deutschland, das erstmals 2009 aufs Klagekarussell gezerrt wurde,
und das gleich zwei Mal von demselben Unternehmen,
vom schwedischen Stromkonzern Vattenfall.
Beim ersten Mal klagte Vattenfall
beim Bau des Kohlekraftwerks Hamburg-Moorburg.
Den Schweden waren
die Umweltauflagen für das Kühlwasser aus der Elbe zu streng,
diese stellten eine Verletzung des Grundsatzes
der "fairen und gerechten" Behandlung
und eine "indirekte Enteignung" dar.
Dadurch sei die Rentabilität des Kraftwerks gesunken
und habe die Investition an Wert verloren.
Vattenfall berief sich dabei auf den Europäischen Energiecharta-Vertrag,
den Deutschland 1994 unterzeichnet hatte.
Das Verfahren wurde 2011 durch "einvernehmliche Einigung" beigelegt.
Der Begriff der "einvernehmlichen Einigung" suggeriert,
letztlich sei alles doch irgendwie zum Besten gewendet worden.
Doch der Deal war schlecht für die Umwelt:
Vattenfall verzichtete auf seine finanziellen Forderungen
an den deutschen Steuerzahler in Höhe von 1,4 Milliarden Euro nur,
weil die Stadt Hamburg im Gegenzug die Umweltbestimmungen wieder lockerte.
2012 verklagte Vattenfall die Bundesregierung ein zweites Mal auf Schadenersatz,
diesmal wegen des Atomausstiegs
nach dem Reaktorunfall 2011 im japanischen Fukushima.
Als Reaktion auf die Katastrophe hatte die Bundesregierung
mehrere Atommeiler abschalten lassen,
darunter die beiden Vattenfall-Atommeiler Brunsbüttel und Krümmel,
letzterer war bereits seit 2007 stillgelegt.
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Die Schiedsklage vor dem Weltbankgericht ICSID in Washington könnte,
wenn die Richter der Forderung von Vattenfall folgen,
Deutschland bis zu 4,7 Milliarden Euro kosten
denn so viel will Vattenfall
durch die deutsche Energiewende und das Atomausstiegsgesetz verloren haben.
Verweigerte Deutschland die Zahlung,
könnte Vattenfall zum Beispiel Auslandsvermögen der Deutschen Bahn AG pfänden.
Kurios auch eine andere Vorstellung:
Das Bundesverfassungsgericht,
vor dem Vattenfall parallel Verfassungsbeschwerde erhoben hat,
würde das Atomausstiegsgesetz für verfassungskonform erklären,
und trotzdem müsste Deutschland bei einem Sieg Vattenfalls
vor dem Washingtoner Drei-Anwalts-Schiedsgericht
Milliarden Euro an Entschädigung zahlen.
Das Beispiel Vattenfall zeigt, wie internationaler Investitionsschutz
nicht nur nationale Regulierungsinteressen durchkreuzt,
sondern dass er auch verfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht:
Demnach dürfen nämlich Individuen und Unternehmen,
die sich wie Vattenfall in ihrem Eigentumsrecht verletzt sehen,
nur dann eine Entschädigung erhalten, wenn die auch gesetzlich vorgesehen ist.
Wenn Gesetze gegen das Grundrecht auf Eigentum verstoßen,
sollen sie aufgehoben oder geändert werden, aber nicht geduldet und
durch Entschädigungszahlungen einfach kompensiert werden.
Das entspricht dem Prinzip der Gewaltenteilung:
Nicht ein Gericht,
sondern der Gesetzgeber soll die Schranken des Eigentumsrechts festlegen,
ebenso soll der Gesetzgeber auch die Höhe einer möglichen Entschädigung bestimmen.
Die Washingtoner Richter würden beides in einem Aufwasch erledigen.
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Als ausländischer Investor hat Vattenfall
gegenüber den ebenfalls betroffenen deutschen Atomkraftwerkseignern E und EON
weitere Vorteile:
Vattenfall darf sich beim internationalen Schiedsverfahren nach ICSID-Regeln
die Schiedsrichter mit aussuchen,
was für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann;
und während die deutschen Energiekonzerne ihre Argumente
in einer öffentlichen Verhandlung
vor dem Bundesverfassungsgericht darlegen müssen,
darf Vattenfall seine Sicht
vor einem geheim tagenden Schiedsgericht ausbreiten.
Und schließlich könnte Vattenfall bei einem Schiedsspruch zu seinen Gunsten
das Urteil in allen rund 160 ICSID-Vertragsstaaten vollstrecken.
Doch selbst wenn Deutschland am Ende keinen Cent an Vattenfall bezahlen muss, verliert es.
Zum einen durch die fortgesetzte Intransparenz des Schiedsverfahrens
und die Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung
gegenüber dem Bundestag.
"Die Bundesregierung ist nicht verpflichtet,
das Plenum über das Verfahren zu informieren.
Die Abgeordneten können lediglich
unter strenger Beachtung von Geheimhaltungspflichten
Zusammenfassungen der relevanten Dokumente einsehen",
kritisiert der Erlanger Rechtsprofessor Markus Krajewski eine Praxis,
die fatal an die TTIP-Verhandlungen erinnert.
Und anders als vor dem Bundesverfassungsgericht,
so Markus Krajewski weiter,
kann der Bundestag im Rahmen des Investitionsschutzstreits
auch keine eigenen Erwägungen und Argumente
vor dem Washingtoner Schiedsgericht vortragen,
er muss sich vielmehr darauf verlassen,
dass die Bundesregierung das Atomausstiegsgesetz dort entsprechend verteidigt.
Viel Geld kostet die Vattenfall-Klage,
über die wohl erst in Jahren endgültig entschieden wird, in jedem Fall.
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Ende 2014 rechnete die Bundesregierung mit Gesamtkostenvon rund neun Millionen Euro für Gerichtskosten, Anwaltsund Gutachterhonorare,
Übersetzer und Dokumentenmanagement;
hinzu kommen die Personalkosten für die sechs zuständigen Mitarbeiter
im Bundeswirtschaftsministerium von jährlich mehr als einer halben Million Euro.
Die Rechnung geht - einmal mehr - an den Steuerzahler.
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Quelle der Textteile:
Thilo Bode "TTIP - Die Freihandels-Lüge"
Warum TTIP nur den Konzernen nützt -
und uns alles schadet
Deutsche Verlagsanstalt München, 2015, Seiten 210, 14,99 €
Thilo Bode
Thilo Bode, geboren 1947, studierte Soziologie und Volkswirtschaft.
1989 wurde er Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland,
1995 von Greenpeace International.
2002 gründete er die Verbraucherorganisation Foodwatch.