Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Israel - verfolgt und bedroht
Israel - der bedrohte Staat
Israel - der Staat der Shoa

»Die Einsicht, dass die geschichtliche Vergangenheit eines Kollektivs von diesem Kollektiv immer instrumentalisiert wird, ist inzwischen beinahe zur Binsenweisheit geworden:
beim Reden oder Diskutieren über die Vergangenheit sagen Menschen normalerweise etwas über sich selbst aus - das heißt, über ihre tatsächlichen Gefühle, Bedürfnisse und Interessen - "jetzt und hier". Das bedeutet nicht, dass die Instrumentalisierung selbst lediglich das Ergebnis von Vorsatz und betrügerischer Manipulation ist, sondern deutet eher auf eine Sache der unausweichlichen Notwendigkeit hin:
Weil zwangsläufig nur Teile der Vergangenheit in Erinnerung bleiben und selbst diese selektiv behalten werden, ist die Vergangenheit als eingebildetes "Ganzes" immer kodifiziert und - in unserem Kontext noch wesentlicher - stark mit partikularistischen Bedeutungen und Werten durchsetzt. Man könnte behaupten, dass es genau diese notwendigerweise voreingenommene Wahrnehmung der Geschichte ist, die ihre ideologische Prägung zur Folge haben muss:
das "was war" und das "dort" des Kollektivs sind nicht nur kodifiziert,
sondern die Art der Kodifizierung wird aktuellen Ansichten und Ausrichtungen untergeordnet.

Es sollte genügen, festzuhalten, dass es, obwohl diese Ansichten und Ausrichtungen selbst geschichtlich vorgegeben sind, die ständige Monopolisierung genau dieser historischen Interpretation durch das "Hier und Jetzt" - der unaufhörliche Prozess ihrer Aktualisierung und ständigen Anpassung an aktuelle Interessen und Bedürfnisse - ist, die schließlich zu einer im Wesentlichen fremdbestimmten Wahrnehmung der Vergangenheit oder, wenn man so möchte, zu einem mehr oder weniger entfremdeten, wenn nicht verfremdeten Umgang mit ihr führen kann.

Der Fall Israel war/ ist in dieser Hinsicht besonders kurios;
seine anerkannte, vorherrschende Ideologie - der Zionismus -
beruhte auf dem grundlegenden Postulat der "Negierung der Diaspora",
das heißt, der eigenen Emanzipation
von einer andauernden geschichtlichen Realität der Verfolgung.
Doch zu diesem Zweck mussten sozusagen die Subjekte eben dieser Diaspora
in das neu gegründete Territorium "importiert" werden.
Diese Konfrontation der Absorbierenden und gleichzeitig Negierenden mit denjenigen,
die durch Negieren emanzipiert werden sollten, hatte weit reichende Implikationen,
und das umso mehr,
weil ein erheblicher Teil der Immigranten
in dem neu gegründeten "jüdischen" Staat Holocaustüberlebende waren.

Nicht genug damit,
dass das palästinensische Volk einen unverhältnismäßigen Preis für diese moderne Völkerwanderung und das Leid seiner Staatsbürger zu bezahlen hatte;
nicht genug damit,
dass der Holocaust der
raison d être für die Gründung des Staats Israel wurde,
womit der jüdische Nationalstaat zum ultimativen Telos der industriellen Massenvernichtung ideologisiert wurde,
genau diese Vergangenheit musste gemäß den aktuellen Interessen und Bedürfnissen des neuen Staats politisiert werden, wodurch die wesentlichsten Ausprägungen der israelischen politischen Kultur und seine wichtigsten Standpunkte zur "Vergangenheit" und zu den "Anderen" zustande kamen.«
( 1 )

Der Zionismus hat sich in ähnlichen Schritten zu seiner Staatsideologie entwickelt.

Zitat:
»... im inquisitorischen Geist derer,
die in der Bibel - bis heute -
den Buchstaben statt des Geistes suchen ...«
( 2 )

Die gerne triumphierend verkündeten Worte, Gott hat dieses Land seinem Volk zum Besitz übergeben, übergehen den Willen Gottes.
Es ist weder menschlich noch theologisch zu erklären, ein Gott hätte nur einem kleinen Volk ein kleines Stück Land geben wollen und damit wären seine Absichten schon erreicht. Sie sollten seine Gebote lernen und sie befolgen.
Auch auf die Verkündung des für die gesamte Menschheit bedeutungsvollen Dekaloges pochen gläubige Juden mit großem Selbstverständnis.
Doch selbst in diesem Geschehen zeigte das Auserwählte Volk wiederholt seine biblische Halsstarrigkeit, in dem es sich bei der Abwesenheit von Moses auf dem Berg einen neuen Gott als Goldenes Kalb goß.
Noch heute befolgen die sogenannten "Siedler" das Gebot nicht "Begehre nicht deines Nächsten Hab und Gut", obwohl sie mit der selben Hebräischen Bibel in der Hand den vermeintlichen Anspruch auf das Land begründen.

Israel - das verfolgte Volk im bedrohten Staat

Israel sitzt in der Falle seiner fehlerhaften Identifikation, die es mit dem Aufrechterhalten der Verfolgung und Bedrohung seiner Existenz herstellt.
Israel hat seinen Staat seit seiner Gründung auf die Verfolgung und Bedrohung seiner Existenz gestellt. Es wollte sich davon nie bewusst entfernen, weil es in seinem Staatsverständnis die einzige Möglichkeit ist, eine Identifikation zu finden und zu erhalten.

Nur haben die Staatslenker auf diesem Weg in die Zukunft übersehen, dass sich ein ständig Verfolgter und in seinem Leben bedrohter Mensch an keinem Ort in der Welt in Frieden niederlassen kann.
Wenn es Verfolgung und Bedrohung als das empfindet, was seine Darstellung für andere Völker zur Unterscheidung kennzeichnen soll, dann bleibt es das gehetzte Volk, das selbst dann keine Ruhe findet, wenn es in seiner Stärke allen Völkern in seiner Nachbarschaft überlegen ist, sich aber trotzdem, oder eben wegen seiner Stärke weiterhin von den schwächeren Nachbarn bedroht sieht.

Weil es zur Staatsräson gehört,
das verfolgte Volk in einem bedrohten Staat zu sein.

Aus dieser etablierten ständigen Bedrohung heraus startet es ein Handeln, das die Nachbarn in dem Status von Feinden festhält. Diese Kulisse der Feinde verlangt nach einer ständigen Rechtfertigung für die Existenz eines Staates, dessen Staatsvolk bei seiner Gründung bisher nicht auf dem Land für diesen Staat gelebt hat.
Es ist erst aus allen Teilen der Welt in dieses Land gekommen, das einem anderen Volk weggenommen worden ist. Die Tatsache dieses Unrechts wird verdrängt. Dabei hilft der starre Blick auf die eigene Verfolgung und Bedrohung. Selbst wenn diese Verfolgung nicht mehr in dem Ausmaß vorhanden ist wie sie früher geschehen ist. Dazu muß die Bedrohung der eigenen Existenz durch die äußeren Feinde die feste Kette hergeben. Doch die Glieder eben dieser Kette besteht aus dem Unrecht, das den für die Kultivierung der eigene Bedrohung benötigten Feinden angetan worden ist.

Israel kann offensichtlich nicht anders und will auch aus dieser Identifikation über die von früher geerbte Verfolgung bis zur heute selbst gestalteten Bedrohung nicht heraus.
So hat es sich mit Terror seinen Staat gegen das Britische Mandat und die Bevölkerung in Palästina ertrotzt.
Es findet wegen dieser aufrechterhaltenen Verfolgung und Bedrohung in der Gegenwart selbst für sich zu keinem gesunden Selbstverständnis ohne die Kulisse der beiden Elemente für eine zwanghafte Identifikation.

Aus dieser feindlichen Haltung zu seiner Umgebung raubt es einem Nachbarvolk den Lebensraum, das Land und die Lebensgrundlagen. Weil Israel behauptet, von diesem Volk bedroht zu werden.
Damit erhält es sich auch programmgerecht die Bedrohung für die eigene Existenz. Die ohne diese Verfolgung und Bedrohung nicht zu rechtfertigen ist. Auf dieser Grundlage einer ewigen Verfolgung und Bedrohung kann jedoch kein Volk gesund existieren und dazu seine Bürger in einem sich ordnenden Gesellschaftsrahmen erhalten.

Benjamin Netanjahu tut alles, um in diesem Staat der Zuflucht die innere Zerrissenheit nicht zu heilen und die äußere Bedrohung nicht abzubauen.

Israel - der Staat in der Angstfalle

Zitat:
»Der Fundamentalismus hingegen lebt aus religiösen Tiefenschichten:
Es geht (im amerikanischen Protestantismus gut zu beobachten)
um die Rückbesinnung auf den ursprünglichen Glauben,
die Abwehr von Pluralismus, keineswegs vor allem darum, Gewalt zu legitimieren. Fundamentalismus gehört zur Geschichte aller Religionen,
der monotheistischen zumal, also des Judentums, Christentums, des Islam.«
( 2 )

Der Zionismus entwickelte sich als der Fundamentalismus, der sich aus den religiösen Wurzeln des Judentums nährt.

Zitat:
»Der Islamismus hat viel mit tatsächlicher Unterdrückung zu tun.
Er erwächst aus der profanen Geschichte von Niederlagen und erlittener Gewalt,
von politischer Missachtung und
einem als Hilfe verbrämten Imperialismus.«
( 2 )

Vergleichend könnte auch die Entwicklung im Zionismus als Versuch eines Auswegs aus dieser Vergangenheit zu betrachten sein.
Die Ausgeburt des Nationalsozialismus scheint sich im Staat gewordenen Zionismus in der Verachtung der Menschlichkeit gegenüber der nichtjüdischen Bevölkerung in Palästina wieder zu beleben.

Zitat:
»Wer auf die Angst um die eigene Identität fixiert ist,
wird blind für die Angst der anderen,
der von uns geängstigten und verletzten Verlierer.«
( 2 )

Zudem bezieht sich der Zionismus auf ähnliche Wurzeln in einer Religion wie das der Nationalsozialismus für sich aus der germanischen Mythologie heraus gebildet hat.
An die Stelle von Israels ungeschriebener Staatsverfassung tritt die Psychopathie mit der Initialzündung "Sicherheit". Darunter wird jegliches Gewissen für eigenes unmenschliches Handeln gegenüber anderen begraben.

Zitat:
»Es ist unverzichtbar, Selbstkritik zu üben.
Das allein reicht allerdings nicht, wenn es folgenlos bleibt.
Politiker sollten sich auf die Frage konzentrieren,
wie sie bei Gewaltausbrüchen zur Deeskalation beitragen können.
Zugleich ist aber der eigene Fundamentalismus zu entlarven,
denn er vergiftet jede Annäherung.«
( 2 )

Erschreckend erscheint eine Wiederholung in der Geschichte der Menschheit.
Das Deutsche Volk konnte sich von seinem Führer in den Abgrund vor dem totalen Untergang nicht befreien. Wie lange muß Israel seinen Weg gehen?
Was sich der Zionismus in Palästina mit dem Staat Israel zum Ziel gesetzt hat, gerät zunehmend in ein gefährliches Abseits. Es enthält auch das Potential, einen Weltbrand zu entzünden.
Warum geling es ganzen Völkern noch immer nicht, sich von ihren Führern zu befreien, bevor sie mit diesen in den Abgrund stürzen?

Zitat:
»Wer den Himmel auf Erden verwirklichen will,
produziert stets die Hölle«

Karlheinz Brandenburg

Doch es wäre zu einfach, die eigene Verantwortung auf die das Verderben bringenden Führer blind abzugeben.

Zitat:
»Nicht in den Religionen, sondern in den Menschen
liegen die Wurzeln des Fundamentalismus.

Christentum und Islam versagen nämlich immer dann,
wenn ihre Gläubigen den Dialog blockieren, es also nicht wagen,
sich mit Kopf und Herz anderen Überzeugungen zu stellen.
Er beginnt als Haltung, als Selbstgerechtigkeit und Empathiemangel,
lange bevor er in monströse Handlungen und Bewegungen auswuchert.

Schon wer im Herzen Mitmenschen verachtet,
gilt als Totschläger (1. Johannes 3,15).«
( 2 )

Auch wenn das Judentum den großen zweiten Teil der Bibel über das Leben Jesu für sich ablehnt, gilt doch diese Herausforderung an das Denken über Mitmenschen auch für das Judentum in dieser Zeit in Palästina.

Lebensraum im Niemandsland

Welche Vorstellung folgt Netanjahus Verneinung eines Staates für die Palästinenser?
Nicht in einem Staat Israel, weil er dessen jüdische Definition zersetzt, nicht in einem eigenen Staat, weil der Große "Bibi" das nicht will, also in einem Niemandsland zwischen Äpypten, Israel, Syrien und Jordanien? Ohne eigene Staatsstrukturen, dafür ständig kontrolliert von der IDF Israels, gehalten in einem Präventivzustand gegen jede eigenständige Entwicklung einer Gesellschaft und Kultur der Palästinenser.
Dieses Geschehen ist seit bald einem halben Jahrhundert ein erschreckendes Phänomen unserer Zeit, die sich jedes Jahr mit ihrem Blick rückwärts an den Völkermord der Nationalsozialisten an der Jüdischen Bevölkerung in Europa erinnert, aber die Augen vor der Gegenwart in Palästina verschließt.
Je mehr sich dieser unmenschliche Zustand für die Bevölkerung in Palästina zu verfestigen scheint, desto weniger ist erkennbar, wer die grobe Hand von Herrn Netanjahu an ihrem Tun hindert.
Obwohl alle Forderungen und Verpflichtungen des Geltenden Völkerrechts dies verlangen.


13. Ijar 5775 * 2. Mai 2015 © Heinz Koald


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Quellen:

( 1 ) Moshe Zuckermann
Die Shoah auf dem Prüfstand

Aspekte des Holocaust in der israelischen politischen Kultur
In dem Buch "Zu beiden Seiten der Mauer",
Ilan Pappe, Jamil Hilal ( Hrsgb. )
Laika Verlag Hamburg 2013, 443 Seiten, 29 Euro

( 2 ) Hermann Häring
In der Angstfalle
Der Vorwurf des Fundamentalismus ist schnell gemacht.
Aber welche Religion ist eigentlich frei davon?
in Chrismon März 2015



ISRAEL - Zerrissener Staat

Der Irrweg des Zionismus

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"Existenzangst ist ein massiver Anschlag auf die Menschenwürde."

Klaus Bachler, Intendant der Bayerischen Staatsoper
Süddeutsche Zeitung, Magazin

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Herr Netanjahu wertet die Menschenwürde der Israelis offensichtlich nicht sehr viel höher als die der Palästinenser.
Er befeuert diese Existenzangst und setzt sie für die Ziele seiner Machtpolitik ein.
Weil Israel - "als einzige Demokratie" im Mittleren Osten - keine Verfassung besitzt, reiht Herr Netanjahu uneingeschränkt eine Regierungszeit als Ministerpräsident an die vorausgegangene.

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Ein aufschlußreicher Beitrag in der Kulturwelt des BR2 vom 11.08.2015:

Der Psychologe Carlo Strenger über die israelische Gesellschaft.

Jüdischer Terror gegen Palästinenser, Schock aufseiten der Liberalen:
Es gebe, sagt der in Tel Aviv lehrende Psychologe Carlo Strenger, keine israelische Gesellschaft.
Man müsse eher von "Stämmen" sprechen, die sich kaum kennen.
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