Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Arab an-Naqab
Dienstaufsicht in der Negev

Dienstaufsicht in der Negev






Landraub ist der Beginn des Völkermordes

Die Beduinen im Negev ( arabisch: Naqab )
verloren neun Zehntel ihres Siedlungsraums.

Die Beduinen dieser Wüstenregion sind rechtlos und unterprivilegiert
wie keine andere Schicht der israelischen Gesellschaft (vielleicht mit Ausnahme der aus Äthiopien eingewanderten Juden).
Aber diese Gruppe macht 12 Prozent der arabischen Staatsbürger Israels aus. ( 1 )

1948 waren die damals 70.000 Beduinen
noch die alleinigen Bewohner des Negev.
Sie lebten von Ackerbau und Viehzucht,

Land und Wasser galten als Gemeinschaftsbesitz.
( ... )
Nach der Vertreibung von 1948
sank die Zahl der Beduinen im Negev auf 11.000
.

Viele waren geflohen oder verjagt worden.
Die Operationen des israelischen Militärs
zur Vertreibung der Beduinen dauerten bis 1959.
Die wenigen, die geblieben waren,
hatten 90 Prozent ihres alten Territoriums verloren,

sie fanden sich in einer Art "Reservat" ( sayag ) wieder.
Bis 1966 waren sie der gleichen Bevormundung durch das Militär unterworfen
wie alle anderen israelischen Araber.
Ohne Genehmigung des israelischen Gebietsgouverneurs
durfte sich niemand im Negev von einem Ort zum anderen begeben.
Von den 1.600.000 Hektar,
die den Beduinen (nach den Daten der britischen Mandatsmacht) gehört hatten,
waren ihnen nur noch 24.000 Hektar geblieben.


Aufgrund unzähliger Gesetze und Verordnungen und mit willkürlichen Eingriffen
verloren sie immer mehr Siedlungsgebiete.
In den 1960er- und 1970er-Jahren versuchte Israel,
die Beduinen zur Ansiedlung in sieben Gemeinden
(Rahat, Hura, Tel al-Saba, Lakije, Schqeb al-Salam, Qseifa und Arara al-Naqb) zu zwingen.
Da dies ihrer Lebensweise widersprach,
fügten sich nur 56 Prozent der 120.000 Beduinen in das Umsiedlungsprogramm.
Wer sich weigerte, musste erleben,
dass seine Siedlung als "nicht anerkannt", also "illegal" eingestuft wurde und nicht einmal mehr auf den Landkarten erschien.


Auch die sieben "anerkannten" Gemeinden liegen in einer unterentwickelten Region
mit hoher Arbeitslosigkeit und nur lückenhafter Versorgung durch öffentliche Dienste.
In der staatlichen Statistik liegen diese Ortschaften
bei allen sozioökonomischen Indexzahlen am untersten Ende.
Die Lage der "nicht anerkannten" Dörfer wird ständig schlechter,
vor allem was das Gesundheits- und Bildungswesen angeht;
die meisten sind nicht einmal an die nationale Wasser- und Stromversorgung und das Telefonnetz angeschlossen.

Siedlungsbau und Hauszerstörung

Besonders dramatisch entwickelt sich die Wohnungsnot.
Die Region weist den höchsten Bevölkerungszuwachs des Landes aus,
aber die Behörden verbieten jede Bautätigkeit und selbst provisorische Behausungen.
Also wird "schwarz" gebaut, was nicht nur mit hohen Bußgeldern bestraft wird,
sondern auch mit der Zerstörung von Gebäuden in den Dörfern.
( ... )
Eine Studie der Ben-Gurion-Universität in Beerscheba
schätzt die Zahl der Abrissverfügungen in diesen Dörfern auf 16.000.
( 2 )

Mit diesem guerillaartigen Vorgehen missachtet der israelische Staat
die Eigentumsrechte der Beduinen an den meisten ihrer angestammten Gebiete.
Die Staatsmacht nutzt ihren ganzen Gewaltapparat,
um Grundstücke zu beschlagnahmen,
den Bau von Häusern zu verbieten und
sogar die Nutzung des Landes für Ackerbau und Viehzucht zu untersagen.

Außerdem werden Brunnen zugeschüttet und die Weiderechte eingeschränkt.
Allein im Zeitraum von 2002 bis 2004 wurden 24.500 Dunum ( 3 ) Ackerland vernichtet,
teils durch Unterpflügen der Ernte, teils durch Besprühen mit chemischen Substanzen.

Tödliche Ausweiskontrolle

Am Freitag, den 20. März 2008,
wollte Sabri al-Dschardschaui gegen neun Uhr abends noch kurz ans Meer.
Zusammen mit seinem Freund Ismail Abu Muhareb aus Lakije fuhr der 25-jährige Gärtner aus dem Beduinendorf Schkeib al-Salam zum nächstgelegenen Badestrand nach Aschkelon.
Auf einem Parkplatz wurden die beiden von zwei israelischen Polizisten in Zivil angesprochen.

Die wollten zunächst ihre Ausweise sehen, dann aber brüllten sie die jungen Beduinen an:
"Was habt ihr hier verloren, ihr dreckigen Araber?
Verschwindet! Ihr habt hier nichts zu suchen!"

Sabri war völlig überrascht und protestierte gegen die Behandlung.

Ein Polizist schlug ihn ins Gesicht und prügelte mit seiner Taschenlampe auf ihn ein, während der andere Ismail abdrängte und ihm Handschellen anlegte.
Dann stürzten sich beide auf Sabri, warfen ihn zu Boden und traten ihn zusammen, bis er das Bewusstsein verlor.

Wenig später tauchte eine reguläre Polizeistreife auf.
Die Beamten erkannten, dass Sabri schwer verletzt war und riefen einen Rettungswagen. Zwanzig Minuten lang versuchten die Notärzte, Sabri wiederzubeleben. Als sie keinen Puls mehr fanden, brachten sie den jungen Mann ins Krankenhaus nach Aschkelon. Dort wurden Prellungen am Kopf, an der Stirn und vor allem an Brust und Beinen festgestellt, zudem Knochenbrüche am Brustbein und im Gesicht sowie Blutungen im Gehirn und in der Lunge.

Am nächsten Tag teilte die Polizei einem Onkel von Sabri telefonisch mit, sein Neffe liege im Krankenhaus. Sabris Freund Ismail kam nach zwei Tagen in Polizeigewahrsam frei, eine Anklage wurde nicht erhoben.
( ... )
Der Zustand von Sabri blieb kritisch. Nach siebzig Tagen im Koma erlag er am 2. Juli 2008 seinen Verletzungen. Die in solchen Fällen vorgeschriebene Autopsie wurde vorgenommen, die Dienstaufsicht der Polizei leitete eine Untersuchung ein.

Drei Monate später wurde Sabris Familie mitgeteilt, dass man die Todesursache nicht habe feststellen können. Zwar ergebe sich aus der Autopsie, dass er geschlagen worden sei, aber die Sachverständigen seien sich nicht einig, ob dies seinen Tod herbeigeführt habe.

Für Sabris Bruder, den Arzt Dr. Mansur Dscharschaui handelt es sich
um "einen kaltblütigen und völlig grundlosen Mord".
Sabris Eltern, beide über siebzig, erholten sich von diesem Schlag nicht mehr.

Deutschlands Staaträson

Wie vermag sich ein Deutsches Parlament einer Staaträson hingeben, die sich einem Staat zum Schutz verpflichtet sieht,
der sich derart verwerfliche Rechtswidrigkeiten und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu Schulden kommen läßt?
Das kann mit dem Sinn und Inhalt unseres Grundgesetzes nicht mehr begründet werden.

Für die so erklärte Staatsräson
sehe ich andere Ziele,
sich mit aller Kraft
für die Einhaltung und Durchsetzung des Völkerrechts
unter allen Umständen einzusetzen,
so wie es in Artikel 1 der IV. Genfer Konvention
ganz besonders von Deutschland
aufgrund seiner historischen Verpflichtung
verlangt wird.



24 Tammuz 5769 * 15. Juli 2009 © Heinz Kobald


Quelle:
Le Monde diplomatique Nr. 8879 vom 8.5.2009, 207 Zeilen, Joseph Algazy
Negev und Naqab
von Joseph Algazy
Aus dem Französischen von Edgar Peinelt

Fußnoten:

( 1 ) Näheres dazu findet sich in den folgenden Publikationen:
Emmanuel Marx, "Bedouin of the Negev", Manchester (Manchester University) 1967;
Sabri Jiryis, "Israels Araber" (Hebräisch), Haifa 1966;
Ghazi Falah, "The Forgotten Palestinians. Arab an-Naqab 1906-1986" (Arabisch),Tayiba (Arab Heritage Center) 1989;
Statistical Yearbook of the Negev Bedouin 2004, Center for Bedouin Studies and Development, Beerscheba (Ben-Gurion Universität);
sowie The Bulletin of the Negev Coexistence Forum for Civil Equality.

( 2 ) Ein Beispiel:
Von Mai 2006 bis März 2009 wurden in dem Beduinendorf Tuajel al-Dscherual 22 Häuser abgerissen,
um die etwa hundert Bewohner zum Verlassen der Ortschaft zu zwingen.
Die Einwohner bauten nach jeder Aktion ihre Wellblechhütten wieder auf oder errichteten Zelte.

( 3 ) Ein Dunum entspricht einer Größe von 1.000 Quadratmetern.