Ruth Dajan im Westjordanland, Foto: Dinu Mendrea
Handarbeiten für den Frieden
Ruth Dajan, 91
Sie ist die Witwe des legendären Verteidigungsministers und
knüpft mit 91 Jahren weiter rastlos Fäden,
die Juden und Araber verbinden sollen
Bekannt wurde sie selbst durch ihre Ehe mit Mosche Dajan, dem Mann mit der schwarzen Augenklappe,
dem Armee-Chef und Verteidigungsminister, dem Sechs-Tage-Kriegsherren,
der 1967 mit dem damaligen Generalstabschef Rabin durch das Löwentor der Jerusalemer Altstadt lief und Juden wieder das Gebet an der Klagemauer ermöglichte.
( ... ) und sie kümmerte sich um Palästinenser,
bis es sogar Mosche Dajan zuviel wurde.
Er beschwerte sich,
sie könne doch nicht jene Palästinenser im Gefängnis besuchen,
die er gerade habe einsperren lassen.
Ruth Dajan ist gerade 91 Jahre alt geworden und kommt mit fünf Stunden Schlaf aus.
Mit ihrer Rastlosigkeit rennt sie auch gegen die Zeit an:
"In der einen Stunde, die mich ein Friseurbesuch kostet,
kann ich arrangieren, dass ein Palästinenser durch eine Armeekontrolle kommt."
Ansonsten kümmert sie das Wohlergehen anderer,
das heißt jener, die sie brauchen: Palästinenser.
Sie gibt ständig und nimmt nie.
( ... ) es war in dem palästinensischen Dorf Charbata,
Asis Arman und Ruth Dajan hatten darüber verhandelt,
wie man mit 20 Palästinenserinnen kooperieren könnte,
die Kopfkissen und Kleider besticken und
wie man einen Hort für Kinder und Mütter finanzieren könnte.
Ruth Dajan hatte vorgeschlagen,
die Arbeiten in der Galerie einer Freundin in Tel Aviv auszustellen.
Es war kalt in der Wohnung, es gab keine Heizung,
und trotzdem lächelte sie zum ersten Mal an diesem Tag -
und kam auf eine Frage zurück, auf die sie Stunden zuvor keine Antwort gegeben hatte:
"Ich kann gar nicht anders. Ich muss mich um die kümmern."
Als sie die bestickten Stoffe der Palästinenserinnen von Charbata prüfte,
sagte sie:
"Diese Arbeiten enthalten eine ganze Archäologie von Gedanken und Ereignissen.
Ganze Leben sind in sie eingebettet."
Reden vom Frieden
Ruth Dajan redet nicht von Frieden. Sie lebt ihn.
Sie liebt Israel.
Aber sie verzweifelt auch an ihrem Land.
"Die jüdischen Siedler sind nur mit sich beschäftigt und
sehen nicht, welches Unglück die Besatzung anrichtet.
Die Jugend von heute spricht kein Arabisch und begegnet keinen Palästinensern.
Und Politiker, denen man trauen kann, besitzen wir sowieso nicht mehr."
Vor ihrer Kritik ist niemand gefeit.
Sie nennt es "eine Schande, dass die reichen arabischen Staaten
die Palästinenser bis heute in Flüchtlingslagern leben lassen".
Die Religion sei schuld,
dass der Nahost-Konflikt bis heute nicht gelöst sei.
Die Hamas terrorisiere Israel im Namen des Islam,
und die jüdischen Siedler siedelten
im Namen des Alten Testaments im Westjordanland.
Bei einer Diskussionsveranstaltung in Jerusalem verliert sie ihre Geduld.
( ... ) spricht sie mit den Veranstaltern, linken Juden,
die langatmige Theorien vom Frieden mit den Palästinensern präsentieren,
aber vage bleiben, wie man diese umsetzen kann.
"Ihr müsst einfach umdenken", sagt Ruth Dajan.
"Lebt den Frieden!
Wir sind alle Palästinenser."Lebt den Frieden!
30 Jahre vor dem Staat Israel
Sie hat sie alle persönlich gekannt, die Großen der israelischen Politik:
Golda Meir, Levi Eschkol, David Ben-Gurion, Jitzchak Rabin.
Damals, zehn, zwanzig Jahre vor Israels Staatsgründung,
war die Welt in Palästina für Ruth "mit Mosche einfach nur schön".
Sie sagt, sie hätte studieren können, anstatt Ställe auszumisten.
"Aber wir wollten das Land aufbauen."
Sie sagt das in einem Ton, der Stolz verrät.
Die 60-Jahr-Feier der Staatsgründung Israels in diesem Mai
ist ihr "ein unwichtiges Datum".
"Wir waren ja schon 30 Jahre vorher hier!"
Der bärtige Patriarch gibt Ruth eine Zigarette und Feuer,
seine Enkelkinder gießen ihr Tee ein,
der ihr viel zu süß ist, den sie aber trotzdem trinkt.
Der Patriarch, der Mosche Dajan noch persönlich gekannt hat,
bedankt sich für die Schokolade, die Ruth Dajan mitgebracht hat.
Die beiden rauchen und schwelgen in der Vergangenheit.
Reden über die Raketen aus dem Gaza-Streifen und die Mauer im Westjordanland,
und plötzlich sagt der Beduinenpatriarch:
"Wenn es ein Paradies gibt, dann ist Ruth die Leiterin."
Als es noch kein Israel gab
Vor 91 Jahren ist Ruth Dajan in Haifa zur Welt gekommen,
in einer Zeit,
in der es noch kein Israel gab und auch keine Palästinensergebiete.
"Als ich jung war, ist man morgens aufgewacht,
und man hat sich nicht gefragt, was machen die Araber.
Jeder ist seinen Geschäften nachgegangen. Man hat sich gegrüßt."
Ihre Tochter trauert der Zeit von damals nach:
"Schon die Generation meiner Kinder ist ja groß geworden,
ohne Araber wirklich zu kennen.
Wir haben noch mit ihnen zusammengelebt,
haben zusammen gefeiert und geredet.
Aber heute?
Es ist eben schwer, Menschen kennenzulernen,
wenn man ihnen als Soldat begegnet."
Das Notizbuch - ein Schatz
( ... ) nach einem langen Tag
an drei verschiedenen Orten im Westjordanland, in Nordisrael und in Ostjerusalem,
wischt sie die "Gute Nacht!" mit einer wegwerfenden Handbewegung beiseite und teilt mit:
"Ich muss jetzt mindestens noch eine Stunde telefonieren."
Vergangene Woche hat es Ruth Dajan innerhalb von zwei Stunden geschafft,
dass eine Beerdigungsgesellschaft aus Nablus im Westjordanland,
die an einem Checkpoint der Armee gestrandet war,
doch noch pünktlich zum Begräbnis erscheinen konnte.
An ihrem 91. Geburtstag vor ein paar Wochen
war ihr Telefon stundenlang besetzt.
( ... ) Als dann endlich ein Freizeichen ertönte und Dajan abhob, erzählte sie,
dass sie seit morgens um sieben Uhr versuche,
für eine Filmstudentin aus Ramallah eine Ausreisegenehmigung für Stockholm zu erhalten.
Und ihr Geburtstag?
Sei doch überhaupt nicht wichtig, sagte sie,
wenn es Menschen gebe, die ihren Wohnort nicht verlassen dürften.
Ihre 68 Jahre alte Tochter Jael überlegt einen Moment,
"Meine Mutter betreibt nicht die große Politik",
sagt die Tochter dann.
"Es stört sie nicht, dass ihre Aktivitäten nur ein Tropfen im Meer sind.
Sie glaubt vielmehr,
dass noch ein Tropfen und noch ein Tropfen und noch ein Tropfen
irgendwann einen See formen werden."
Ihr Schatz ist ein pinkfarbenes Notizbuch, das ein Gummi zusammenhält.
In ihm stehen hunderte Telefonnummern.
Würden die Menschen,
die in dem Buch aufgeführt sind,
im Nahen Osten regieren,
hat Ruth Dajan einmal gesagt,
"dann gäbe es hier längst Frieden".
die in dem Buch aufgeführt sind,
im Nahen Osten regieren,
hat Ruth Dajan einmal gesagt,
"dann gäbe es hier längst Frieden".
Eine Frage bedrängt mich.
Würden meine Augen die Telefonnummer der Bundeskanzlerin in Deutschland in dem Notizbuch lesen?
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Die hier zusammen gestellten Texte sind
aus dem folgenden Artikel entnommen:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 83, 09. April 2008, Seite 3
Israel, ein Staat wird 60 (I):
Ruth Dajans Leben zwischen den Fronten
Frieden entsteht in Handarbeit
Sie ist die Witwe des legendären Verteidigungsministers und
knüpft mit 91 Jahren weiter rastlos Fäden,
die Juden und Araber verbinden sollen
Von Thorsten Schmitz
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4 Nisan 5768 * 9. April 2008 * Heinz Kobald