Text aus
Nostra aetate
Verhältnis der Kirche
zu den nichtchristlichen Religionen
2. Vatikanisches Konzil
3. Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche
gedenkt die Heilige Synode des Bandes,
wodurch das Volk des Neuen Bundes
mit dem Stamme Abrahams geistlich verbunden ist.
So anerkennt die Kirche Christi,
daß nach dem Heilsgeheimnis Gottes
die Anfänge ihres Glaubens und ihrer Erwählung
sich schon bei den Patriarchen, bei Moses und den Propheten finden.
Sie bekennt,
daß alle Christgläubigen als Söhne Abrahams dem Glauben nach 6
in der Berufung dieses Patriarchen eingeschlossen sind und
daß in dem Auszug des erwählten Volkes aus dem Lande der Knechtschaft
das Heil der Kirche geheimnisvoll vorgebildet ist.
Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen,
daß sie durch jenes Volk,
mit dem Gott aus unsagbarem Erbarmen
den Alten Bund geschlossen hat,
die Offenbarung des Alten Testamentes empfing und
genährt wird von der Wurzel des guten Ölbaums,
in den die Heiden als wilde Schößlinge eingepfropft sind 7.
Denn die Kirche glaubt,
daß Christus, unser Friede,
Juden und Heiden
durch das Kreuz versöhnt und
beide in sich vereinigt hat. 8
Die Kirche hat auch stets die Worte des Apostels Paulus vor Augen,
der von seinen Stammverwandten sagt,
daß "ihnen die Annahme an Sohnes Statt und
die Herrlichkeit, der Bund und das Gesetz,
der Gottesdienst und die Verheißungen gehören wie auch die Väter und
daß aus ihnen Christus dem Fleische nach stammt" ( Röm 9, 4-5 ),
der Sohn der Jungfrau Maria.
Auch hält sie sich gegenwärtig,
daß aus dem jüdischen Volk die Apostel stammen,
die Grundfesten und Säulen der Kirche,
sowie die meisten jener ersten Jünger,
die das Evangelium Christi der Welt verkündet haben.
Wie die Schrift bezeugt,
hat Jerusalem die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt 9, und
ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen,
ja nicht wenige haben sich seiner Ausbreitung widersetzt 10.
Nichtsdestoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis der Apostel
immer noch von Gott geliebt um der Väter willen;
sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich11.
Mit den Propheten und mit demselben Apostel
erwartet die Kirche den Tag,
der nur Gott bekannt ist,
an dem alle Völker mit einer Stimme
den Herrn anrufen und ihm "Schulter an Schulter dienen" ( Soph 3,9 )12.
Da also das Christen und Juden gemeinsame geistliche Erbe so reich ist,
will die Heilige Synode die gegenseitige Kenntnis und Achtung fördern,
die vor allem die Frucht biblischer und theologischer Studien
sowie des brüderlichen Gespräches ist.
Obgleich die jüdischen Obrigkeiten mit ihren Anhängern
auf den Tod Christi gedrungen haben 13,
kann man dennoch die Ereignisse seines Leidens
weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied
noch den heutigen Juden zur Last legen.
Gewiß ist die Kirche das neue Volk Gottes,
trotzdem darf man die Juden
nicht als von Gott verworfen
oder verflucht darstellen,
als wäre dies aus der Heiligen Schrift zu folgern.
Darum sollen alle dafür Sorge tragen,
daß niemand in der Katechese oder bei der Predigt des Gotteswortes
etwas lehre,
das mit der evangelischen Wahrheit und
dem Geiste Christi nicht im Einklang steht.
Im Bewußtsein des Erbes,
das sie mit den Juden gemeinsam hat,
beklagt die Kirche,
die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft,
nicht aus politischen Gründen,
sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums
alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus,
die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem
gegen die Juden gerichtet haben.
Auch hat ja Christus,
wie die Kirche immer gelehrt hat und lehrt,
in Freiheit, um der Sünden aller Menschen willen,
sein Leiden und seinen Tod aus unendlicher Liebe auf sich genommen,
damit alle das Heil erlangen.
So ist es die Aufgabe der Predigt der Kirche,
das Kreuz Christi als Zeichen der universalen Liebe Gottes und
als Quelle aller Gnaden zu verkünden.
5. Wir können aber Gott, den Vater aller, nicht anrufen,
wenn wir irgendwelchen Menschen,
die ja nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind,
die brüderliche Haltung verweigern.
Das Verhalten des Menschen zu Gott dem Vater und
sein Verhalten zu den Menschenbrüdern
stehen in so engem Zusammenhang,
daß die Schrift sagt:
"Wer nicht liebt, kennt Gott nicht" ( 1 Joh 4,8 ).
So wird also jeder Theorie oder Praxis
das Fundament entzogen,
die zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk
bezüglich der Menschenwürde und
der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.
Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen
oder jeden Gewaltakt gegen ihn
um seiner Rasse oder Farbe,
seines Standes oder seiner Religion willen,
weil dies dem Geist Christi widerspricht.
Und dementsprechend ruft die Heilige Synode,
den Spuren der heiligen Apostel Petrus und Paulus folgend,
die Gläubigen mit leidenschaftlichem Ernst dazu auf,
daß sie "einen guten Wandel unter den Völkern führen" ( 1 Petr 2, 12 )
und womöglich, soviel an ihnen liegt,
mit allen Menschen Frieden halten 14,
so daß sie in Wahrheit Söhne des Vaters sind, der im Himmel ist 15.
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"Nostra aetate"
Erklärung über das Verhältnis der Kirche
zu den nichtchristlichen Religionen
2. Vatikanisches Konzil
Erstellt am 30.03.2008 * Heinz Kobald