Der Präsident des Zentralrates der Juden erwartet von Papst Benedikt XVI eine Geste
Auszüge aus dem Interview von Gernot Facius für “Die Welt“, erschienen am Fr, 29. Juli 2005
http://www.welt.de/data/2005/07/29/752102.html
Paul Spiegel vermißt ein Papst-Wort zum Terror gegen Israel
Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden erwartet von Benedikt XVI. vor dessen Deutschlandbesuch eine Geste
DIE WELT: Früher als erwartet steht Deutschland im Wahlkampf.
Wie steht es um die geistige Befindlichkeit des Landes?
Paul Spiegel: Deutschland steht auf festem demokratischen Boden
DIE WELT: Der Papst wird im August die Kölner Synagoge besuchen. Werden auch Sie Benedikt XVI. sehen?
Spiegel: Ja. Ich werde in der Synagoge sein und hoffentlich die Gelegenheit haben, zumindest ein paar Worte mit dem Papst zu wechseln.
Besonders interessiert mich, von ihm zu erfahren, warum er kürzlich den Terrorismus in Ägypten, England, der Türkei und im Irak verurteilt hat, aber nicht den Terrorismus, unter dem Israel seit vielen Jahren zu leiden hat.
DIE WELT: Auch ethische Fragen spielen in der politischen Diskussion zunehmend eine Rolle.
Hat der Zentralrat der Juden einen besonderen Beitrag für diese Debatte?
Spiegel: Es gibt einen Nationalen Ethikrat. Wir sind nicht aufgefordert worden mitzutun.
Wir hatten damit gerechnet, daß man uns fragt, das ist aber nicht geschehen.
Natürlich stehen wir für ethische Fragen immer zur Verfügung.
Denn wir Juden könnten einiges zu der Debatte beitragen.
Welche menschliche Befähigung erfordert das Mitwirken im Nationalen Ethikrat?
Kommentar:
Was ich von Herrn Spiegel seit Jahren erwarte, ist, seine Verpflichtung als Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegenüber den Forderungen nach dem Grundgesetz zu erfüllen.
Das Eintreten für die Beachtung der Menschenrechte überall auf der Welt.
Grundrechte des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland:
I. Die Grundrechte : - Auszüge -
Artikel 1 [Menschenwürde]
(1) ( ... )
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
Artikel 25 [Völkerrecht und Bundesrecht]
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes.
Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
Herr Spiegel bevorzugt es, das Grundrecht der Meinungsfreiheit zu missbrauchen ohne sich jedoch zur Politik der Regierung Sharon kritisch zu äußern.
Daher spreche ich Herrn Spiegel den erforderlichen moralischen Hintergrund ab, eine Geste von Papst Benedikt XVI hinsichtlich der Terroropfer in Israel zu verlangen. Sein Verhalten kann ich nur als “Chuzpe“ betrachten.
Zudem sehe ich in der Tatsache, dass er bei der Übernahme dieses Amtes, alle bestehenden Verbindungen des Zentralrates, die Bubis zu den jüdischen Friedensorganisationen aufgebaut hatte, abgebrochen hat, keine besondere Eignung für das Amt im Nationalen Ethikrat.
Daher bin ich auch dagegen, einen jüdischen Funktionär mit konservativer orthodoxen Prägung in den Nationalen Ethikrat zu “berufen“.
Für ihn existieren ja auch verschiedene Arten von Juden in Deutschland.
Wenn ein Vertreter aus den Israelitischen Kultusgemeinden, die im sog. Zentralrat der Juden Deutschlands zusammen geschlossen sind, in diesen Ethikrat aufgenommen werden sollte, dann nur, wenn auch ein Vertreter der progressiven Judenverbände zur Mitarbeit aufgefordert wird.
Wir haben den Streit noch nicht vergessen, den Herr Spiegel um die Gelder der Bundesregierung für alle Juden in Deutschland führte, weil er sie mit anderen nicht teilen wollte. Für ihn erfüllten die “anderen“ Juden eben nicht die richtigen juristischen jüdischen Merkmale für eine Zugehörigkeit zu dem Zentralrat aller Juden in Deutschland.
Wenn ein jüdischer Verband-Funktionär das Judesein in Deutschland nach juristischen Fiktionen bestimmen will, ist er dann für den Nationalen Ethikrat prädestiniert?
» ( ... ) Im innerjüdische Streit geht es zwar vordergründig um die staatliche Zuwendung.
Doch dahinter schwelt eine Auseinandersetzung über Struktur- und Glaubensfragen, über die Interpretation der Thora und jüdische Abstammungsprinzipien. ( ... )
In Deutschland gibt es 15 liberale Gemeinden mit etwa 3.000 Mitgliedern, die sich durch den Zentralrat nicht repräsentiert fühlen. Sie pochen auf die Pluralität des Judentums und berufen sich auf die vor 200 Jahren in Deutschland entstandene liberale jüdische Tradition. ( ... ) Der Zentralrat jedoch, so klagt der Unions-Vorsitzende Jan Mühlstein, überlasse "im Religiösen die Definitionshoheit der Orthodoxie". ( ... )
Paul Spiegel sieht den Zentralrat als die Vertretung aller jüdischen Gemeinden und ihrer rund 100.000 Mitglieder, egal ob liberal, orthodox oder konservativ. Auch das Direktorium hat den "Alleinvertretungsanspruch" des Zentralrats bekräftigt. ( ... )
Sollte der Zentralrat sie weiter von der Verteilung der öffentlichen Zuwendung ausschließen, wollen die liberalen Juden die Regierung verklagen. Sie sehen sich durch den Staatsvertrag in ihren verfassungsmäßigen Rechten verletzt und ihre Glaubensgemeinschaft diskriminiert. ( ... ) «
Quelle: Frankfurter Rundschau online 2004, 21.04.2004, VON CHRISTOPH SEILS
Kontroverse über staatliche Zuschüsse und Glaubensfragen - Zentralrat zeigt sich bisher wenig kompromissbereit
» Der Streit um die Förderung der liberalen jüdischen Gemeinden in Deutschland schwelt weiter. Auch ein Spitzengespräch von Bundeskanzler Gerhard Schröder mit dem Zentralrat der Juden brachte keine Lösung.
( ... )
Der Zentralrat weigert sich, die Union Progressiver Juden an der Förderung durch den Bund zu beteiligen. ( ... ) An dem Treffen nahmen neben Schröder und Spiegel auch Innenminister Otto Schily und die stellvertretenden Vorsitzenden des Zentralrats, Salomon Korn und Charlotte Knobloch, teil. ( ... )
Der Zentralrat erhält nach dem 2003 ausgehandelten Staatsvertrag jährlich drei Millionen Euro von der Bundesrepublik. Die UPJ verlangt, die liberalen Gemeinden dürften bei der Verteilung dieser Gelder nicht länger übergangen werden. ( ... )
Das progressive Judentum, das auf eine finanzielle Förderung durch den Bund drängt, sieht sich als Alternative zur orthodoxen Glaubensrichtung. Kennzeichnend dafür ist unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen religiösen Angelegenheiten.
Die Union der Progressiven Juden in Deutschland vertritt nach eigenen Angaben etwa 3.000 Anhänger.
Anders als bei der Orthodoxie versteht das progressive Judentum die Offenbarung nicht als einen einmaligen Akt der Auslegung religiöser Lehre, sondern als fortdauernden Prozess, der durch die Menschen vermittelt wird.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter bedeutet, dass Frauen und Männer in der Synagoge nicht getrennt voneinander sitzen und Frauen Rabbinerinnen werden können.
Das auch als liberal bezeichnete Judentum geht auf eine Reformbewegung aus dem 18. und 19. Jahrhundert zurück. Bis zur Zeit des Nationalsozialismus stellte die progressive Strömung die Mehrheit der Juden in Deutschland dar. Vertreibung und Vernichtung folgten. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind sie hier in der Minderheit, während sie etwa in den USA die Mehrheit bilden. ( ... )
Nach Vorstellungen der Bundesregierung soll der Zentralrat bei der Verwendung der Gelder alle Gruppierungen berücksichtigen. Der Staatsvertrag enthält keine detaillierten Festlegungen zur weiteren Verwendung der Bundesmittel durch den Zentralrat. Es heißt in dem Text lediglich, der Zentralrat sei "nach seinem Selbstverständnis für alle Richtungen innerhalb des Judentums offen". ( ... ) «
Quelle: Die Welt, erschienen am 22. April 2004
Keine Einigung im Streit unter jüdischen Organisationen
So behandelt also der Zentralrat der Juden in Deutschland seine “eigenen Minderheiten“!
Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz scheint ihm bei diesem Streit auch abhanden gekommen zu sein.
Artikel 3 [Gleichheit vor dem Gesetz; Diskriminierungsverbote]
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Damit hat Herr Siegel nur zu deutlich bewiesen, dass er keineswegs berechtigt ist, vielleicht auch noch für alle Juden in Deutschland im Nationalen Ethikrat “seine Stimme“ zu erheben. Es ist zu erwarten, dass Herr Paul Spiegel eine Tätigkeit im Nationalen Ethikrat ebenso dazu missbrauchen wird, andere jüdische Vereinigungen in der Öffentlichkeit zu verdrängen, wie er das als Präsident des Zentralrates der Juden Deutschlands tut. Insoweit ist die Bezeichnung des Zentralrates der Juden in Deutschland nicht korrekt.
Daher spreche ich ihm grundsätzlich die notwendige moralische Qualifikation für ein Mitglied des Ethikrates ab. Diese hat er nicht schon selbstverständlich deswegen, weil er der Präsident des Zentralrates ist. Für den Nationalen Ethikrat sind ganz andere Bedingungen zu erfüllen als für das Amt des Präsidenten des Zentralrates der Juden.
Außerdem ist die Verquickung des Amtes als Funktionär eines Interessenverbandes mit der Tätigkeit auf dem Felde der Ethik ohnehin abzulehnen.
Welche Ethik ein konservatives orthodoxes Judentum hervorbringt, das erleben wir in der Besiedlungs- und Besatzungspolitik der Regierung von Ariel Sharon. In der offensichtlichen Appartheid gegen das Volk der Palästinenser kann Sharon u.a. seine “militärische Vergangenheit“ nicht verleugnen.
Aufgrund der Unfähigkeit – oder des Unwillens - von Herrn Spiegel, sich zu Sharons Politik zu äußern, entsteht weder ein politisches noch ethisch unzweifelhaftes Bild seiner Persönlichkeit.
Aus dem Kreis des Präsidiums des Zentralrates musste ich öfters über die Geschehnisse in Palästina vernehmen “Dafür sind wir nicht verantwortlich!“ – Nun, das mag seine Richtigkeit haben.
Ebenso wie Herr Spiegel wegen der Auslassung des Papstes Benedikt XVI diesem unterstellt, mit diesem Schweigen den palästinensischen Terror zu ermutigen, drängt es mich wegen der Sprachlosigkeit von Herrn Spiegel gegenüber Sharon anzunehmen, dass er hinter der Politik von Sharon steht. Das wiederum brächte aber Herrn Spiegel in einen eklatanten Konflikt mit den Forderungen unseres Grundgesetzes.
In welche Beziehung zu Israel stellt aber Herr Spiegel dann sein Ansinnen, vom Heiligen Stuhl eine Geste – nur - zum palästinensischen Terrorismus zu erwarten, von dem Israel betroffen ist?
Solange Herr Spiegel diese Unklarheiten in seinem öffentlichen Auftreten nicht zu ordnen vermag, hege ich nicht nur an seiner demokratischen Gesinnung erhebliche Zweifel.
Hei-ko
31. Juli 2005 © Heinz Kobald
Über die Blütezeit des Liberalismus im 19. Jahrhundert und dem nachemanzipatorischen Phänomen des Zionismus einen Auszug aus “Illustrierte Geschichte des Judentums“, Herausgeber Nicholas De Lange, Institut for Hebrew and Jewish Studies Universitiy of Cambridge, Campus Verlag 2000
Der Streit des Zentralrates der Juden in Deutschland um die Staatlichen Gelder wird fortgesetzt