Ist der Bau von Siedlungen ein Fehler oder Terror ?
Vizepremier Peres gesteht Siedlungsbau als Fehler
Sharon verspricht neuen Siedlungsausbau
Bei einer Visite in der in Cisjordanien liegenden Siedlerstadt Ariel erklärte der Ministerpräsident Sharon mit Nachdruck, dass die Stadt erweitert werden solle. Ariel werde für immer ein integraler Teil des israelischen Staates sein, sagte er. Sharon erklärte bei seinem Besuch, dass Behauptungen von Parteikollegen, laut denen er gedenke, Siedlungen in Cisjordanien zu räumen, bloss hysterisches Geschrei seien.
Im Gegenteil wolle er die Siedlungsblöcke - gemeint sind die Gegenden um Ariel, um Maale Adumim bei Jerusalem und Gush Etzion in der Nähe von Bethlehem - stärken und ausbauen.
In einem Radiointerview erklärte Aussenminister Shalom am nächsten Tag nach dem Treffen mit US-Außenministerin Rice, amerikanische Äusserungen bestätigten, dass die demographischen Gegebenheiten die zukünftigen Grenzen Israels bestimmen würden.
Die durch eine Strasse mit dem israelischen Kernland verbundene Stadt Ariel ist mit 18.000 Einwohnern die grösste jüdische Niederlassung in Cisjordanien.
Ob Ariel in den Grenzzaun einbezogen wird, ist nach vehementen Einsprachen der Amerikaner noch nicht entschieden.
Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 23. Juli 2005
Im Mittelpunkt des israelisch-palästinensischen Konflikts steht die Frage des Terrors
Auf die individuellen Terroraktionen der Palästinenser
antworten die Israelis mit staatlichen Terroraktionen.
Der Vergeltungskrieg kann nämlich per definitionem nur ein terroristischer sein.
Da die staatlichen Aktionen nicht die Ausführenden eines terroristischen Anschlags oder deren Auftraggeber treffen, sondern zum Großteil Zivilisten, vom Standpunkt der Menschenrechte her also das inakzeptable Prinzip der kollektiven Bestrafung zur Geltung kommt, fühlen sich die auf diese Weise Gemaßregelten moralisch bestätigt, wenn sie ihrerseits als Antwort zur Waffe des Terrors greifen.
Für die ausgerissenen Augen reißen freilich auch sie nicht denen die Augen aus, die ihnen die Augen ausgerissen haben, sondern ermorden unschuldige Cafégäste oder Busreisende. Und so weiter, ad infinitum.
Die staatlichen Terroraktionen sind nur insofern verheerender,
als dass sie das Leben ganzer Bevölkerungsgruppen zerstören.
Ein Beispiel dafür ist das Schicksal des Gaza-Streifens
Im September 2000, als die zweite Intifada ausbrach, wurde dieses 40 Kilometer lange und 10 Kilometer breite Gebiet, auf dem ungefähr 1,2 Millionen Menschen leben, hermetisch von Israel abgeriegelt.
Wer dort arbeitete, verlor seinen Job. So sind derzeit 65 Prozent der arbeitsfähigen Menschen in Gaza arbeitslos; mehr als die Hälfte der Bevölkerung muss sich mit einem Einkommen von täglich weniger als zwei Dollar begnügen.
Das Gebiet wurde in winzige Sektoren zergliedert, an der Grenze jedes Sektors sind Kontrollpunkte installiert. All dies geschah für die insgesamt 7.000 jüdischen Siedler, die mehr als 40 Prozent des Territoriums des Gaza-Streifens ihr Eigen nennen können.
Die Okkupation dauert hier seit 35 Jahren an. ( ... )
Gegen den Terrorismus kann und soll man einen Kreuzzug verkünden, doch im Weltmaßstab ist dieser Krieg nicht allein mit militärischen Mitteln zu gewinnen.
Dieser Krieg ist ohne Trockenlegung des Elends der Dritten Welt und ohne Beseitigung oder zumindest Linderung der verschiedenen Abarten der nationalen Unterdrückung überhaupt nicht zu gewinnen.
Auf der ganzen Welt gibt es nicht so viele Al-Qaida-Kämpfer, wie sie Elend und Unterdrückung hervorzubringen vermögen. ( ... )
Die Law-and-order-Freaks züchten immer neue und neue Formen des Terrorismus heran.
Ohne die politische Wende von Bush wäre Scharons Politik unvorstellbar.
Diese Wende macht nicht einmal vor den in Jahrhunderten erkämpften Errungenschaften der bürgerlichen Demokratie Halt.
Der »double standard« ein Triumphzug ?
Der antiterroristische Kreuzzug verlangt von uns, dass wir zum Schutz der Menschenrechte auf unsere Menschenrechtsanschauung verzichten.
Da der Terrorismus seine ideologischen Fundamente und sein Menschenmaterial aus den meist verarmten und zurückgebliebenen Regionen Afrikas und Asiens rekrutiert, müssen dort zum Schutz unserer Werte die menschenrechtlichen Errungenschaften suspendiert werden.
»double standard« - diesen unschuldig klingenden Begriff erdachte sich Robin Cooper, Tony Blairs außenpolitischer Berater, für diese Korrektur der Menschenrechtsanschauung.
Demnach hätten innerhalb unseres Kulturkreises weiterhin die Normen des Rechtsstaats Gültigkeit.
Doch über diesen Kreis hinaus müsse auf die brutaleren Methoden früherer Zeiten zurückgegriffen werden.
Im Dschungelkrieg seien die Gesetze des Dschungels anzuwenden. Andrea Böhm, die Coopers Theorie in der »Monde Diplomatique« referiert, verweist auf die bereits in der Praxis registrierbaren Auswirkungen dieses Denkens.
Die USA hatten 1994 die Anti-Folter-Konvention ratifiziert, weshalb neuerdings angebliche Al-Qaida-Kämpfer auf amerikanischen Druck in befreundete Länder wie Ägypten oder Pakistan gebracht würden, wo die Erpressung von Geständnissen unter Folter erlaubt ist.
Der Common Sense ordnet Israel den entwickelten und zivilisierten Länder und dem jüdisch-christlichen Kulturkreis zu; die Palästinenser hingegen den Parias der Dritten Welt.
Dieses Faktum droht mit weiteren Schrecklichkeiten, so wie die Theorie des »double standard« ihren Triumphzug fortzusetzen.
Quelle für die beiden letzten Absätze:
DIE ZEIT, 29/2002, Das Erbe des Überlebens von István EörsiIstván Eörsi
Was lernt man aus dem Holocaust für den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern?
Auf der Seite der Verfolgten zu stehen und wahrhaftig zu sein
Aus dem Ungarischen von Gregor Mayer
István EörsiIstván Eörsi wurde 1931 in Budapest geboren.
Zuletzt veröffentlichte er "Der rätselhafte Charme der Freiheit" (Suhrkamp).
Hei-ko
30. Juli 2005 © zusammengestellt von Heinz Kobald