Zypries verteidigt Vorratsdatenspeicherung
Bürger sind schlecht informiert
Bürger sind schlecht informiert
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat das umstrittene Gesetz zur erweiterten Speicherung von Telekommunikationsdaten verteidigt.
Je stärker der Staat von terroristischen Anschlägen oder schwerster Kriminalität bedroht sei,
desto abwehrbereiter müsse er auch zur Verteidigung der demokratischen Rechte sein.
Schütte:
Das Telekommunikationsüberwachungsgesetz ist etwas, das viele Menschen in Deutschland beunruhigt. Konkret geht es ums Telefonieren, Surfen im Internet, um Mails und SMS-Botschaften.
Die Verbindungsdaten sollen für sechs Monate gespeichert werden,
also Rufnummern beziehungsweise die Kenn-Nummer des Computers, Datum und Uhrzeit der Verbindung,
bei Handy-Gesprächen der Standort des Benutzers.
Um dagegen zu protestieren, sind in dieser Woche mehrere tausend Menschen in Deutschland auf die Straße gegangen:
"Ich bin hier, weil ich es unmöglich finde,
dass es möglich sein kann,
dass meine Daten,
meine Faxe, meine E-Mails, meine Telefonate
ein halbes Jahr lang gespeichert werden,
dass jeder das quasi nachverfolgen könnte, weil:
Ich weiß nicht, wer das speichert, wo das gespeichert wird.
Das ist undurchsichtig ... ."
"Wenn wir jetzt Telefonate mitschneiden,
sie für ein halbes Jahr aufbewahren und
darauf zugreifen können,
wenn wir irgendeinen geringen Verdacht haben,
was machen wir dann danach?"
"Ich bin in der DDR groß geworden und
da hat man von mir eine Akte angelegt.
Ich war verhältnismäßig jung, und
trotzdem wurde ich eben schon geführt,
mit welchen Freunden ich mich traf und
was ich gemacht habe,
und eigentlich möchte ich nicht,
dass ich oder auch meine Kinder
in so einem Staat leben müssen."
dass es möglich sein kann,
dass meine Daten,
meine Faxe, meine E-Mails, meine Telefonate
ein halbes Jahr lang gespeichert werden,
dass jeder das quasi nachverfolgen könnte, weil:
Ich weiß nicht, wer das speichert, wo das gespeichert wird.
Das ist undurchsichtig ... ."
"Wenn wir jetzt Telefonate mitschneiden,
sie für ein halbes Jahr aufbewahren und
darauf zugreifen können,
wenn wir irgendeinen geringen Verdacht haben,
was machen wir dann danach?"
"Ich bin in der DDR groß geworden und
da hat man von mir eine Akte angelegt.
Ich war verhältnismäßig jung, und
trotzdem wurde ich eben schon geführt,
mit welchen Freunden ich mich traf und
was ich gemacht habe,
und eigentlich möchte ich nicht,
dass ich oder auch meine Kinder
in so einem Staat leben müssen."
Zypries:
Ich kann natürlich verstehen, dass man sich Sorgen macht, aber was ich nicht verstehen kann ist,
dass die Informationsbasis ganz offenbar so schlecht ist.
Aus den Meinungsäußerungen der Bürger ist zu hören,sie denken,
die Inhalte eines Gesprächs werden gespeichert.
Das ist natürlich nicht wahr.
Wir speichern die Verbindungsdaten.
Das heißt, wer hat mit wem wann telefoniert?
Und wir speichern das deshalb europaweit, weil das eine europäische Richtlinie ist,
weil wir die Attentate von Madrid durch genau die Rückverfolgung dieser Daten sehr schnell aufklären konnten.
Wir müssen sehen, dass wir künftig bei solchen terroristischen Anschlägen,
aber auch zur Verfolgung anderer schwerer Taten
noch die Möglichkeit haben, auf die Daten zurückzugreifen.
Diese Daten werden nicht beim Staat gespeichert.
Sie werden bei den Telekommunikationsunternehmen gespeichert, und im Grunde ist es dasselbe wie das, was große Telekommunikationsanbieter wie die Telekom heute schon machen.
Die Teilnehmer kriegen am Monatsende zur Verfolgung ihrer Abrechnung eine Übersicht,
welche Gespräche von ihrem Apparat aus geführt wurden.
Und genau um diese Daten geht es.
Diese Daten speichert die Telekom künftig nicht nur drei Monate, sondern sechs Monate.
Schütte:
Die Daten werden ohnehin gespeichert, aber nun können Ermittlungsbehörden darauf zugreifen.
Ist das nicht doch eine neue Qualität?
Zypries:
Nein! Das ist keine neue Qualität, weil das bereits geltende Rechtslage ist.
Auf die Daten, auf die man zugreifen kann, können Ermittlungsbehörden das heute schon.
Voraussetzung:
Sie haben den Verdacht einer schweren Straftat und ein Richter hat entschieden, dass diese Daten herauszugeben sind von dem Telekommunikationsunternehmen.
Das ist bereits heute geltende Rechtslage.
Schütte:
Wenn das aber alles gar nichts Neues ist, wenn die Behörden jetzt schon auf diese Daten zugreifen können im Verdachtsfalle, weshalb brauchen wir dann noch ein neues Gesetz?
Zypries:
Der Unterschied ist der, dass heute nur die Daten zu Abrechnungszwecken gespeichert werden, künftig müssen alle diese Daten für sechs Monate gespeichert werden, ehe sie bei den Telekommunikationsunternehmen wieder zu löschen sind. Das ist der Unterschied.
Das heißt, wir haben heute nur eine willkürliche Auswahl, und künftig sind davon alle betroffen.
Zypries:
Deutschland hat ein Jahr blockiert,
weil ich immer gesagt habe, das, was England, Schweden und andere wollen,
ist uns viel zu viel. Wir dürfen nur viel weniger an Daten sammeln.
Alle anderen europäischen Staaten wollten sehr, sehr viel mehr Daten speichern, wollten versuchte Anrufe speichern, wollten nicht nur für 6 Monate, sondern für 36 Monate speichern und anderes mehr.
Da haben wir sehr gekämpft, damit die Anforderungen insgesamt runtergeschraubt werden.
Schütte:
Gehört die informationelle Selbstbestimmung nicht mehr zum Selbstverständnis einer modernen Demokratie?
Zypries:
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung heißt nur, dass Bürger darüber informiert werden müssen, wer was von ihnen speichert.
Das hat sich auch als Abwehrrecht gegen den Staat positioniert.
Die Daten kommen nur dann in staatliche Hände,
wenn ein unabhängiges Gericht darüber entschieden hat, und
die Voraussetzung dafür ist der Verdacht einer schweren Straftat.
Schütte:
Betroffene werden anschließend informiert. Sie können auch anschließend klagen, falls sie sich als unschuldig herausstellen. Ein wirklicher Schutz des Bürgers ist das aber nicht oder?
Zypries:
Was heißt "ein wirklicher Schutz"? Ich würde gerne darauf hinweisen, dass sie jetzt hier diese zwei Gesetze vermischen.
Wir haben eben über die Vorratsdatenspeicherung gesprochen, und die Vorratsdatenspeicherung heißt, diese Verbindungsdaten werden gespeichert, Zugriff nur durch richterlichen Beschluss bei Verdacht einer schweren Straftat.
Alles andere, was wir heute noch novellieren,sind die ganz normalen Ermittlungsbefugnisse, die in der Strafprozessordnung geregelt sind.
Da sind noch zahlreiche andere Möglichkeiten gegeben, und für alle die gilt, dass wir die Bürgerrechte insofern sichern, als wir die Informationspflichten des Staates verbreitern, die Rechtsschutzmöglichkeiten verbessern und auch eine gesonderte Verhältnismäßigkeitsprüfung noch mal einführen, die der Richter künftig immer vornehmen muss, ehe er überhaupt dazu kommt, solche verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zu genehmigen.
Schütte:
Mit dem geplanten Gesetz wird noch etwas anderes geregelt.
Künftig sollen Telefone in Arztpraxen, Redaktionsbüros,
auch in bestimmten Anwaltskanzleien abgehört werden dürfen,
obwohl es eigentlich einen Vertrauensschutz gibt durch das Zeugnisverweigerungsrecht.
Warum ist das Vertrauen zu einem Arzt oder zu einem Journalisten offensichtlich weniger Wert
als das zu einem Priester oder Abgeordneten, denn dort darf nicht gelauscht werden?
Zypries:
Das ist so ein Teil der wirklich schwierigen Darstellung in den Medien.
Das, was Sie referiert haben, wird nicht so geregelt.
Wir haben ein bestehendes Recht in der Strafprozessordnung,
was verdeckte Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht.
Diese Rechte, die heute bestehen, in der Form, wie sie heute bestehen, bleiben alle erhalten.
Das heißt, es ändert sich negativ gar nichts.
Es ändert sich positiv was für Bürgerinnen und Bürger:
Rechtsschutzmöglichkeit, Benachrichtigungspflichten und so weiter.
Aufgrund einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darf bei Seelsorgern, soweit sie seelsorgerisch tätig sind, und bei Strafverteidigern, soweit sie insoweit tätig sind, und bei Abgeordneten erst gar nicht abgehört werden.
Das ist eine quasi on the top, was wir einbringen aufgrund Karlsruher Entscheidungen, und im Übrigen bleibt es dabei, wie jetzt die Rechtslage auch ist.
Das heißt, es wird niemand mehr abgehört sondern es wird allenfalls weniger abgehört,
weil Richter eben künftig noch zu einer gesonderten Verhältnismäßigkeitsprüfung verpflichtet sind.
Schütte:
Heute ist das Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung im Bundestag.
Was ist der nächste Schritt, die Online-Durchsuchung?
Zypries:
Um das ganz klar zu sagen. Die Strafprozessordnungsmöglichkeiten gibt es heute schon. Die novellieren wir nur und geben verbesserte Bürgerrechte durch verbesserte Informationen, Benachrichtigungen und Eingriffshüllen.
Die Vorratsdatenspeicherung ist in der Tat eine andere Form von tatsächlichem Eingriff. Das stimmt.
Da werden jetzt Daten gespeichert, aber diese Daten werden nur dann abgefragt, wenn es um den Verdacht einer schweren Straftat geht und ein Gericht entschieden hat.
Die Online-Durchsuchung wäre noch mal eine Neueinführung eines anderen Elements, was insbesondere für den präventiven Bereich ja gelten soll und nicht zur Verfolgung von Straftaten, sondern im Vorfeld schon eingesetzt werden soll.
Dieses Projekt betreibt mein Kollege Schäuble, und deswegen kann ich da zum Zeitplan nichts sagen.
Schütte:
Wir haben zu Beginn über die Befürchtungen der Bürger über einen Überwachungsstaat gesprochen. Wo ist für Sie, Frau Zypries, eine Grenze erreicht bei der Erfassung von Daten?
Zypries:
Das hängt doch immer ganz stark davon ab, was wir für eine Gefahrenlage haben.
Wären solche Attentate wie in Madrid nicht passiert, dann wäre man nicht auf die Idee gekommen, das sind wichtige Daten zur Aufklärung terroristischer Anschläge, und deshalb wollen wir die europaweit jetzt speichern.
Je mehr wir solche terroristischen Anschläge haben oder auch uns anderen Formen von schwerster Kriminalität gegenüber sehen wie zum Beispiel organisierter Kriminalität, oder wenn der Rechtsradikalismus wieder stärker werden sollte, dann muss man natürlich als abwehrbereiter Staat zur Verteidigung unserer demokratischen Rechte auch bereit sein, etwas zu tun.
Wo diese Grenze im Einzelnen ist, kann man so allgemein nicht sagen, sondern das muss dann immer sehr konkret abgewogen werden.
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Ausschnitte aus dem Interview vom 9. November 2007 beim Deutschlandfunk
von Christian Schütte