Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Was Ahmadinedschad wirklich sagte
Was Ahmadinedschad wirklich sagte
Das Zitat, das keines war

Das Zitat, das es nicht gab


Ende Oktober 2005 rauschte durch alle westlichen Medien und Parlamente eine den Weltfrieden erschütternde Meldung aus dem Iran.

Zitat:
»Auf einem Kongreß mit dem Titel "Eine Welt ohne Zionismus"
hatte der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad gesagt:
"Israel muß von der Landkarte getilgt werden".«


In den Medien und in den Worten der Politiker wurden noch weitere Bedeutungen in diese Worte gelegt.

Zitat:
»Ahmadinedschad habe die "Auslöschung" Israels angekündigt,
mit Israels "Zerstörung" gedroht,
die Absicht zur "Vernichtung" des jüdischen Staates offenbart.«


Das Urteil über diese Worte stand in kurzer Zeit unumstößlich fest:

Zitat:
»"genozidaler Antisemitismus". Ahmadinedschad ist der neue Hitler,
wie vor ihm schon Saddam Hussein und Slobodan Milosevic.«


Für die tiefe Erregung der sog. Westlichen-Werte-Gemeinschaft hätten diese Worte für eine Kriegserklärung an den Iran genügt.

Der israelische Regierungssprecher Raanan Gissin erkannte eine greifbare Bedrohung in dem zweiten Versuch eines Holocaust aus dem Iran.

Zitat:
»Es wird keine zweite "Endlösung" geben.
Gott sei Dank verfügt Israel über die Mittel,
um das extremistische Regime Irans scheitern zu lassen.«


Der Sprecher des Weißen Hauses sah die Internationale Gemeinschaft durch den Iran bedroht.

Zitat:
»Ahmadinedschads Äußerungen hätten einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig die Zusammenarbeit der internationalen Gemeinschaft sei, um Iran von der Entwicklung atomarer Waffen abzuhalten.«

Das Zitat, das es nicht gab

Dagegen ist es
eine gewaltsame Bedrohung des Weltfriedens,
wenn festzustellen ist,
Ahmadinedschad hat den
in allen Medien und von allen Politikern im Westen
zitierten Satz,
"Israel muß von der Landkarte getilgt werden",
in der Wirklichkeit
nicht ausgesprochen!

Offensichtlich hat die westliche Welt in kollektiver Autosuggestion einer vom anderen den Satz abgeschrieben - und -
keiner der Vervielfältiger dieser Worte hat die Rede des iranischen Präsidenten wirklich gelesen.

Der entscheidende Abschnitt in der Rede von Ahmadinedschad
beginnt mit der rhetorischen Frage:

»Werden wir eine Welt ohne Amerika und Zionismus erleben können?«

Er zählt danach eine Reihe von Gegnern auf,
deren Ende von Ajatollah Khomeini, dem religiösen Führer Irans,
nach der "islamischen Revolution" von 1979, vorausgesagt worden ist.

Die erkennbare Linie ist:
Es hat sich dabei um starke, unbesiegbar erscheinende Gegner gehandelt,
doch sie mussten sich letztendlich geschlagen ergeben.

Die Aufzählung beginnt mit dem Schah-Regime.
An zweiter Stelle folgt "der östliche Imperialismus",
damit ist die Sowjetunion und ihr Machtbereich gemeint.
An dritter Stelle steht Saddam Hussein.

An vierter Stelle folgt dann das auf Israel bezogene Zitat,
dessen wirklicher Wortlaut lautet:

»Der Imam (Khomeini) hat gesagt:
"Das Regime,
das Quds (arabischer Name Jerusalems) besetzt hält,
muß von den Seiten der Geschichte gestrichen werden."
Dieser Satz ist sehr weise.
Das Thema Palästina ist keines,
bei dem wir Kompromisse machen können.«

Die innere Logik und der Zusammenhang
der vier angeführten Beispiele
läßt es absolut nicht zu,
an "Auslöschung" und "Vernichtung"
im Sinn aggressiver Absichten Irans oder
gar eines Genozids zu denken.

Im Wesentlichen geht es um politische Prozesse und um die Auflösung vorherrschender Strukturen.
Wenn der iranische Präsident von einer "Welt ohne Amerika" spricht,
unterstreicht er damit seine Schlußfolgerung.

Gemeint ist damit sicher nicht die "Auslöschung" der US-Bevölkerung,
sondern die Zerstörung des US-Imperialismus.

Die iranische Führung hat stets betont, daß sie nicht die Absicht hat,
irgend einen Staat militärisch anzugreifen.

Sie verweist darauf,
daß der Iran in den letzten 250 Jahren keine Aggressionen begangen hat.

Sicher gilt das, ohne zu weit in der Geschichte zurückzuschauen, für die Zeit seit der "islamischen Revolution" von 1979.
Die iranische Führung hat nicht einmal eine militärische Drohung oder kriegerische Rhetorik gegen irgend jemand - auch nicht gegen Israel - ausgestoßen.
Im selben Zeitraum haben dagegen die Regierungen der USA und Israels mehrere Male sehr konkret und laut über Militärschläge gegen den Iran "nachgedacht".

Für jeden Realisten ist deutlich zu erkennen,
bei diesen Militärschlägen wird es nicht
um einige eng begrenzte "chirurgische Operationen"
gegen ein paar Atomanlagen handeln.

Sondern diese militärischen Übergriffe wären zwangsläufig, wenn sie überhaupt einen Sinn haben sollten, der Auftakt zu einem langen Luftkrieg gegen alle sozialen und wirtschaftlichen Strukturen Irans - mit vielen tausend Toten.

Die Doppelmoral des Westens

Im Iran wird es als Ausdruck der Doppelmoral der Großmächte, insbesondere des Westens, empfunden, wenn der UNO-Sicherheitsrat sofort zusammentritt, um die Äußerungen Ahmadinedschads aufs Allerschärfste zu verurteilen.

Entsprechende Verurteilungen haben die UN gegenüber den konkreten Drohungen der USA und Israels gegen den Iran noch in keinem der Fälle ausgesprochen.

Als Ausdruck der vom Westen geübten Doppelmoral in internationalen Verpflichtungen
deuten politisch Denkende im Iran das Geschehen in Palästina:

Israel ist das einzige Land der Welt,
dem es seit nunmehr 39 Jahren straffrei gestattet wird,
unter Verletzung der IV. Genfer Konvention und
der UN-Resolution 242
fremdes Land zu besetzen und
stückweise zu annektieren.

Während die Hamas nach einer durch Internationale Beobachter bestätigten ordentlichen demokratischen Wahl sofort unter massiven Druck gesetzt wird, "das Existenzrecht Israels anzuerkennen",

lösen die Ankündigung der Regierung in Tel Aviv,
wesentliche Teile des besetzten Westjordanlands
endgültig zu annektieren,
bei den Regierungen Europas
nicht einmal verhaltene verbale Proteste aus.

Die Nachrichten-Agentur MEMRI

Die Abkürzung MEMRI steht für "Middle East Media Research Institute".

Das Hauptquartier des Unternehmens befindet sich in Washington;
daneben gibt es derzeit Büros in Berlin, London, Tokio und Jerusalem.

MEMRI unterhält einen großen Mitarbeiterstab,
der Zeitungsartikel, Reden und andere Texte
überwiegend aus der arabischen Welt und dem Iran übersetzt und
an politische Multiplikatoren, wie etwa Abgeordnete und Redakteure, verschickt.

Der Gründer von MEMRI war jahrelang
Offizier des israelischen Geheimdienstes und
Berater mehrerer israelischer Präsidenten.

Insider vermuten,
daß die umfassenden Übersetzungstätigkeiten von MEMRI -
die eine entsprechend breite Lektüre
der wichtigsten arabischen und iranischen Zeitungen voraussetzen -
ohne Mithilfe staatlicher israelischer Stellen
kaum zu leisten wären.

MEMRI liefert hochwertige, kompetente Übersetzungen
und ist über den Verdacht erhaben,
Ahmadinedschads Äußerungen beschönigen zu wollen.

MEMRI hat am 28. Oktober 2005 eine etwas gekürzte Übersetzung
der Rede Ahmadinedschads auf Englisch veröffentlicht.
Aus ihr sind die o.a. Worte in der Rede entnommen.


Text zusammen gestellt von Heinz Kobald, 31. August 2007


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Quelle:

Uni Kassel, AG Friedensforschung,
Peter Strutynski, Nora-Platiel-Str. 5, 34109 Kassel,
eMail: strutype@uni-kassel.de

Pragmatische Außenpolitik, unerträgliche Propaganda
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Von Knut Mellenthin