Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Mit der Panzerkanone in das Wohnzimmer
Haus in Beit Lahija nach Beschuß, Foto: Getty




Haus in Beit Lahija nach Beschuß, Foto: Getty


Vandalen in Uniform und Panzer


Auf den Feldern hinter dem Haus stehen sieben Panzer.
Einer davon hat direkt in die Zimmer geschossen.

Zaid Shaban schildert den Vorgang.
"Das war der schrecklichste Moment in meinem Leben. Ich stehe mit meiner Frau und meinen drei Kindern im Zimmer und dann schiebt sich die Kanone des Panzers durch das Fenster mitten in den Raum hinein."
Der israelische Panzerkommandant hat ihn vor die Wahl gestellt.
"Ihr verlasst sofort das Haus oder ich schieße."
Shaban, das linke Bein in Gips, hat seine Frau und seine drei Töchter genommen - die älteste ist drei Jahre, die jüngste vier Monate alt.
"Wir sind nur von der Angst getrieben aus dem Haus hinaus. Um uns herum wurde überall geschossen. An einigen Straßen mussten wir mit den Kindern im Arm über den Boden kriechen."

Das Haus des Palästinensers Shaban liegt in dem Ort al-Salatin, im Norden des Gaza-Streifens.
Hier, nahe Beit Lahija, hatten in den vergangenen Tagen die bisher heftigsten Kämpfe zwischen palästinensischen Kämpfern und der israelischen Armee stattgefunden.
Hier sind 32 Palästinenser getötet worden, Zivilisten und Uniformierte.
"Allein sieben Menschen starben auf dem Marktplatz durch eine Rakete.
"Das waren alles Zivilisten", sagt Schaban.

Shaban, der Palästinenser, 45 Jahre, hat lange in Deutschland gelebt,
in Bochum Maschinenbau studiert, nach dem Studium auch dort gearbeitet.

Nach Gaza ist er 2003 zurück gekommen, weil sein 84-jähriger Vater ihn darum gebeten hatte.
Shaban hat in Gaza geheiratet, ein Haus gebaut, drei Kinder kamen zur Welt.
"Hätte ich gewusst, was für eine Hölle das Leben im Gaza-Streifen ist, hätte ich mir die Rückkehr gewiß sehr überlegt", sagt er.
"Damals sah es nach Frieden aus. Arafat hatte versprochen, der Gazastreifen verwandelt sich in ein zweites Singapur. Aber statt Singapur in Gaza habe ich überall israelische Panzer, Helikopter und die F - 16 erleben müssen."

In diesen Tagen sind die israelischen Truppen al-Salatin auf heftigen Widerstand der kämpfenden Palästinener gestoßen.
Die Panzer haben sich wieder hinter die Grenze zurückgezogen.
Die israelische Militäraktion in Nord-Gaza scheint für den Augenblick beendet.
Im Süden und im Osten halten sie noch kleine Teile des nur 350 Quadratkilometer großen Palästinensergebiets besetzt.

Das erklärte Ziel der Israelischen Armee war es, die unterirdischen Geheimgänge der Kämpfenden Palästinenser zu zerstören und ihnen so die Möglichkeit zu nehmen, von hier aus die selbst gebauten Kassam-Raketen nach Israel zu schießen.

Ob das die Wahrheit ist, bleibt ungeklärt.

Viele Palästinenser vermuten, Israel will langfristig eine "Sicherheitszone" in Nord-Gaza errichten, um sich so vor dem Raketenbeschuss zu schützen.

Israel selbst wies den Vorschlag einer Waffenruhe und neuer Verhandlungen, den Hamas-Regierungschef Ismail Hanija am Samstag gemacht hatte, zurück.

Voraussetzung sei das Ende des Raketenbeschusses und die sofortige und bedingungslose Freilassung des gefangen gehaltenen Israelischen Soldaten Gilad Schalit.
"Wir werden bald Militäroperationen an anderen Orten beginnen", sagte der israelische Oberbefehlshaber Süd, Yoav Galant.
"Ich sehe keinen Grund, diese Offensive zu beenden, solange sie unseren Soldaten festhalten."

Nicht nur Shabans Haus ist von der Israelischen Armee beschossen worden. Auch das Nachbarhaus ist weitgehend zerstört. Es gehört seinem Bruder.
"Womit sollen wir unsere Häuser wieder aufbauen? Wir haben keine Arbeit."
Shaban zeigt mit dem Finger auf die in seinem Hof stehenden Brüder und Nachbarn:
"Der ist arbeitslos, der dort und der auch. Ich habe hier auch keine Arbeit."
In al-Salatin sind 70 bis 80 Prozent der Menschen arbeitslos.
Der Ingenieur steht wieder vor dem Nichts.
"Mein Haus ist jetzt zum großen Teil zerstört. Ich muß es beinahe wieder neu aufbauen."

"In Deutschland habe ich eine andere Art des Denkens kennen gelernt. Aber nach all dem, was hier in den letzten Tagen geschehen ist, verstehe ich, warum die Menschen hier die Israelis so schrecklich hassen.
Nach dem, was hier in den letzten Tagen geschehen ist, beginne auch ich, die Israelis für ihre Untaten zu hassen."


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Quelle: Süddeutsche Zeitung, Nr. 156, Montag, 10. Juli 2006, Seite 7
Mit der Kanone ins Zimmer
Wie Israels Streitkräfte durch Zerstörungen während der Gaza-Offensive den Hass der Palästinenser schüren
von Tomas Avenarius


16 Tammuz 5766 * 12. Juli 2006 * Heinz Kobald