Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Notwehr oder Agression




Ausschnitte aus:

"Die Hand an der Waffe"

von ANDREAS ZIELCKE


Würde Israel, falls es Irans Atomanlagen bombardiert, in eigenmächtiger Manier Selbstjustiz ausüben
oder aber sein zugestandenes Notrecht auf Selbstverteidigung?
Geht es nach der völkerrechtlichen Lehre,
kann die Antwort wenig Zweifel aufwerfen. Sie lautet: Selbstjustiz.


Zunächst die rechtliche Grundlage:

Als einzige Ausnahme vom Gewaltverbot anerkennt Artikel 51 der UN-Charta
das "Recht der Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs".

Hielte man sich allerdings streng an diesen Wortlaut,
wären militärisch bedrohte Nationen
zur selbstmörderischen Passivität verurteilt.
Denn wenn sie sich erst dann zur Wehr setzen dürften,
nachdem der Angriff bereits läuft,
könnte jede Verteidigung zu spät sein,
falls der Feind mit überwältigender Feuerkraft
oder gar mit Massenvernichtungswaffen einfällt.


Darum lässt das Völkergewohnheitsrecht auch
einen den Angriff vorwegnehmenden Gegenangriff zu,
sofern
"eine unmittelbare, überwältigende Notwendigkeit
zur Selbstverteidigung besteht,
die keine Wahl der Mittel und
keine Zeit mehr zu weiterer Überlegung lässt".


Analog zu Notwehrregeln im innerstaatlichen Recht
ist bedrohten Staaten seither ein vorauseilender Erstschlag erlaubt,
wenn der feindliche Angriff so akut bevorsteht,
dass jedes Abwarten die Chance der Selbstverteidigung vereiteln würde.


Doch beim israelisch-iranischen Konflikt
stimmen die allermeisten Völkerrechtler darin überein,
dass das iranische Atomprojekt
bisher auf keinen Fall
einen unmittelbar bevorstehenden Angriff darstellt,
so lückenhaft die Kenntnis über
den Entwicklungsstand in den geheimen Nuklearanlagen auch ist.
Offensichtlich hat Iran noch nicht einmal die "capability",
also die technische Fähigkeit, zum Bau der Bombe erreicht,
geschweige denn, dass er die Nuklearwaffe schon besäße,
einschließlich hinreichender Abschuss- und Trägersysteme.
Nach dem anscheinend noch immer aktuellen Wissensstand der CIA
ist seit der Zäsur von 2003
noch gar kein Beschluss zum Bau der Waffe gefallen.


Doch selbst wenn das Land so weit wäre
- die Verfügbarkeit der Nuklearwaffentechnologie
ließe sich auch bei exzessiver Auslegung der Caroline-Formel
"nicht unter den Begriff
eines unmittelbar bevorstehenden Angriffs" gegen Israel
subsumieren. Dies umso weniger,
als nach herrschender völkerrechtlicher Meinung
noch nicht einmal der Besitz der Waffe selbst darunter fiele.


Kein Wunder darum,
dass der Sicherheitsrat Israels Bombardement
des irakischen Osirak-Reaktors im Jahre 1981
verurteilt hat.
( Übrigens hatte Israel damals den Reaktor zerstört,
obwohl Irak der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA)
die volle Kontrolle der Anlage gewährt hatte. )
Wendet man also Artikel 51 der UN-Charta schulmäßig an,
wäre ein Präemptivschlag Israels
auch zum jetzigen Zeitpunkt
rechtswidrig und damit ein Akt der Aggression.


Abgesehen davon gilt die realistische Befürchtung offenbar ohnehin einem anderen Szenario.
Wie es scheint,
nehmen weder die israelische noch die amerikanische Regierung wirklich an,
dass Iran die Bombe, hätte es sie denn,
tatsächlich als Erstschlagswaffe gegen Israel einsetzen würde.

Für so irrational und suizidal hält man das Teheraner Regime dann doch nicht.


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Quelle: Süddeutsche Zeitung, 19. April 2012, Seite 11
Die Hand an der Waffe
Verbotene Selbstjustiz oder legitime Selbstverteidigung
Darf Israel Irans Atomanlagen bombardieren?
ANDREAS ZIELCKE