Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Vater aus Dschenin spendet
die Organe seines getöteten Sohnes für Kinder in Israel
Ismael Khatib mit Mohammed, Foto: Inge GüntherEin Herz aus Dschenin





Foto: Inge Günther

Ismael Khatib mit Mohammed. Er bekam eine Niere von Khatibs Sohn.



Ein Herz aus Dschenin





Das ist die Geschichte von Ismael Khatib, 42.
Er ist ein Mann aus dem palästinensischen Flüchtlingslager Dschenin.

Es ist der 5. November 2005.
Sein zwölfjähriger Sohn Achmed spielt mit Freunden auf der Straße,
als israelische Soldaten zur Militärrazzia anrücken.
Sie halten das Spielzeuggewehr der Kinder für echt und schießen.
Eine Kugel erwischt Achmeds Kopf. Hirntod - dagegen sind die Chirurgen machtlos.
In die Spezialklinik in Haifa hat ihn ein Rettungswagen gebracht.
Der Pfleger Raymond, ein arabischer Israeli,
nimmt den an der Bettkante hockenden Vater zur Seite und
spricht ihn auf die Möglichkeit der Organspende an.
Ismael Khatib willigt ein, nachdem er sich mit dem Mufti und anderen Autoritäten in Dschenin beraten hat, auch der Anführer der Al-Aksa-Brigaden erhob keinen Einwand.
Schwerstkranke Kinder in Israel erhalten die ersehnte Transplantation. ( 1 )

Khatib: Das Telefon hörte nicht mehr auf zu klingeln:
"Scharon möchte dringend mit dir sprechen" hieß es,
"Olmert möchte mit dir sprechen".
Ein Vertreter des Verteidigungsministeriums hat sich wortreich bei mir entschuldigt.
Vor Ahmed sind viele Kinder getötet worden, keiner hat sich entschuldigt.
Die Berichte über uns haben eine Aufmerksamkeit erzeugt. ( 2 )

Erst der Tod Ahmed hat etwas bewirkt:
Er ist das letzte Kind, das in Dschenin getötet wurde. ( 2 )

SZ: Wurden Sie gefragt, wer die Organe Ihres Sohnes bekommen soll?
Khatib: Nein. Aber Ahmed lag in einer Klinik in Haifa, also in Israel.
Es war mir klar, dass die Organe vermutlich an Israelis gehen.
Mir war aber wichtiger, dass vor allem Kinder die Organe bekommen -
egal, ob Juden, Araber oder Christen.
In ihnen lebt Ahmed weiter. ( 2 )

Drei der geretteten Kinder kann Ismael Khatib besuchen:
Sameh, Mohammed und Menuha.
Sie führen mit dem gespendeten Herz und den Nieren des toten Achmed
heute ein glückliches Leben. ( 1 )

Auch Ismael Khatib schleuderte einst Molotow-Cocktails und Steine gegen Militärjeeps. Elf Mal saß er in israelischen Gefängnissen, meist für Monate.
Wahrscheinlich weiß er, wie man mit der Kalaschnikow umgeht.
Er ist kein Mann, der viele Worte verliert, eher einer, dem alle zuhören, wenn er spricht. Die Trauer hat die melancholischen Züge seines Gesichts vertieft. Und doch ruht er in sich. ( 1 )

Insgesamt vier Jahre war ich darum in israelischer Haft.
Irgendwann habe ich gemerkt: Gewalt bringt nichts, so kommt kein Frieden.
Da wird ein Kind erschossen, gleich am ersten Tag nach dem Ramadan,
an Eid El Fitr. Es ist ein Festtag für Muslime, ein Tag, um glücklich zu sein.
Da haben selbst Nichtmuslime Rachegefühle verspürt. ( 2 )

SZ: Glauben Sie, dass Ihre Geste hilft, dem Frieden näher zu kommen?
Khatib: Ich hoffe es. Die Organspende war für mich eine größere Tat,
als wenn ich als Selbstmordattentäter nach Israel gegangen wäre.
( 2 )

Damals, als Khatib den Organspenden zugestimmt hatte,
reagierten die eigenen Leute irritiert.
Schlagzeilen wie: "Palästinensischer Vater rettet israelische Kinder"
kamen in Dschenin nicht gut an.
"Wie kannst du Organe deines getöteten Jungen dem Feind überlassen?"
Das bekam Ismael Khatib oft zu hören. Er hat geduldig erwidert.
"Kinder sind nicht meine Feinde, sie tragen keine Schuld." ( 1 )

»Noch schwerer taten sich die Israelis.
Ein Palästinenser von derartiger menschlicher Größe passte nicht in ihr Bild.
"Das hat sie mehr durcheinander gebracht,
als wenn ich ein Terrorist wäre", sagt Khatib.« ( 1 )

Zwei Jahre nach dem Tod seines Sohnes
spannt sich ein unsichtbarer Draht zwischen den Kindern und
dem fremden Mann aus einer anderen Welt hinter dem Sperrwall.
Das Mädchen im Teenageralter aus einer Drusenfamilie, Sameh Gadban, zeigt offene Herzlichkeit.
Ebenso der lebhafte Mohammed Kabua, der Beduinensohn,
der unermüdlich auf seinem Fahrrad ums Elternhaus im Negev kurvt.
Zur Dialyse muss er nicht mehr. ( 1 )

Nicht so unbeschwert ist die Begegnung mit Menuha,
der kleinen Tochter frommer Juden aus der Jerusalemer Siedlung Pisgat Zeev.
Dass das Spenderorgan arabischer Herkunft ist, rüttelt an den Grundsätzen der Familie Levinson.
Vor dem Operationssaal ist dem Vater der Satz über die Lippen,
ein jüdisches Organ wäre ihm lieber gewesen. Später bedauert er seine Worte.
Doch es verlangt von ihm noch Überwindung, palästinensische Gäste zu empfangen, noch dazu aus dem Widerstandsnest Dschenin. ( 1 )

SZ: Yaakov Levinson, ein orthodoxer Jude und der Vater von Menuha,
die eine von Ahmeds Nieren erhielt, sagte bei einem Interview vor der Transplantation, er würde es bevorzugen, wenn das Organ von einem Juden käme. Da wusste er aber noch nicht, von wem die Niere stammt.
Khatib: Das hat mich verletzt, aber auch nicht erstaunt,
er ist aufgewachsen in seiner Welt,
die nicht zur Toleranz erzieht und nur die eigene Kultur zulässt. ( 2 )

Khatib: Yaakov Levinson hatte Angst, ich glaube, er hat noch nie einen Palästinenser, also seinen Feind, in sein Haus gelassen.
Alles, was er sagen wollte, stand in Levinsons Gesicht, in seinem unnahbaren Verhalten.
Er hat mich gefragt, warum ich nicht in die Türkei gehe, um zu arbeiten.
Er hat gar nicht verstanden, dass das hier auch meine Heimat ist.
Ich glaube nicht, dass er sich ändern wird.
Aber es ging mir nicht um den Vater,
sondern allein um Menuha. In ihr sehe ich Ahmed. ( 2 )

Ismael Khatib sieht in allen drei Kindern etwas von Achmed, nicht nur die Organe. Er fühlt sich seinem toten Sohn näher, wenn er ihnen nah ist. ( 1 )

Das italienische Städtchen Cuneo ehrte ihn.
Ismael hat den Menschen in Cuneo gesagt, der Hauptgrund für Achmeds Tod liegt darin, dass es in Dschenin keinen sicheren Platz für Kinder gibt. Deshalb spielen alle Kinder auf den Straßen.
Cuneo sammelte einige zehntausend Euro für ein Jugendzentrum im Flüchtlingslager. Heute leitet es Ismael Khatib, der Automechaniker und pädagogische Autodidakt. 200 Kinder kommen täglich, in den Ferien oder nach der Schule.
An die Wand im größten Raum, wo sie Dabka lernen, einen Tanz in der palästinensischen Tradition, haben die Kinder ein Riesenherz gemalt, zur Erinnerung an Achmed.
Ismael sagt: "Achmed steckt in allen von ihnen". ( 1 )

SZ: Dschenin soll das Vorbild für ein friedliches, unabhängiges Palästina werden.
Khatib: Dschenin ist eine friedlichere Stadt geworden,
zuvor galt sie als fünftgefährlichste Stadt der Welt.
Es bewegt sich etwas, und das hat mit den Menschen zu tun. ( 2 )

SZ: Hätten Sie der Organspende auch nach dem Gazakrieg zugestimmt?
Khatib: Ich muss ein wenig überlegen, aber nein, es macht für mich keinen Unterschied.
Es ist keine Spende an die Regierung, sondern an die Kinder.
Neben mir im Krankenhaus haben Juden die Thora gelesen und wir den Koran.
Wir haben alle an den Betten unserer Kinder gesessen und gewartet, dass sie ihre Augen aufmachen.
Man fühlt, dass es gar nicht so schwer ist, Frieden zu machen. ( 2 )

Der Dokumentarfilm, "The Heart of Jenin" : Das Herz von Dschenin, ist daraus entstanden, die israelisch-deutsche Koproduktion war 2008 beim Filmfestival in Locarno zu sehen. ( 1 )

Die Filmemacher, der Israeli Leon Geller und der Deutsche Marcus Vetter,
haben das Persönliche auf höchst authentische Weise in den politischen Kontext eingebunden.
Weder Momentaufnahmen palästinensischer Selbstmordanschläge in Israel fehlen, noch die Bilder des zerstörten Flüchtlingscamps nach der israelischen Großoffensive im April 2002.
Ismael Khatib drückt es so aus.
"Die Leute sehen, was Achmed widerfahren ist,
aber sie erleben auch eine andere Perspektive", sagt er. ( 1 )

"Das Herz von Jenin" ist jetzt in Deutschland zu sehen. ( 2 )


Text aus den Quellen zusammengestellt von Heinz Kobald * 3. Mai 2009


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( 1 ) Berliner Zeitung, 11. Aug. 2008
Ein Herz aus Dschenin
Ismael Khatib hat seinen Sohn verloren und entschieden,
dass israelische Kinder mit dessen Organen gerettet werden sollen
Inge Günther

( 2 ) Quelle: Süddeutsche Zeitung, Nr. 100, 2. Mai 2009, Seite 11
"Meine Rache ist die Menschlichkeit"
Ein Gespräch mit Ismael Khatib,
der die Organe seines Sohnes an Israelis spendete und
so Frieden mit seinem alten Feind machte
Interview: Claudia Fromme



Deutsche Lebensbrücke e.V.

Über zwei Millionen Kinder in Deutschland sind arm und
es werden ständig mehr.
Kinderarmut
hat viele Gesichter:
schlechte Ernährung, mangelnde Bildung,
fehlende menschliche Wärme und gesellschaftliche Isolation.