IDF Panzer, Foto: Reuters
Krieg im Gaza
oder
Selbstverteidigung und Verhältnismäßigkeit
Zitat:
»US-Präsident George W. Bush hat sich in einem Telefongespräch mit dem israelischen Regierungschef Ehud Olmert für einen Waffenstillstand im Gazastreifen ausgesprochen.
Der erste Schritt dazu müsse aber von der Hamas ausgehen,
die ihre Raketenangriffe auf Israel einstellen müsse,
sagte Bushs Sprecher Gordon Johndroe
auf der Ranch des scheidenden Präsidenten im texanischen Crawford.« ( 1 )
Zitat:
»Die beiden Politiker sprachen nach seinen Angaben über Wege, "die Gewalt zu beenden".« ( 1 )
Sie suchen nach Wegen, "die Gewalt zu beenden".
Die Worte klingen sehr alt-bekannt.
Die größte Gewalt seit vier Jahrzehnten ist die menschenverachtende und völkerrechtswidrige Besatzung und Besiedlung mit der Waffengewalt der IDF. Diese Gewalt ist nicht beendet. Deswegen wird eine Gewalt aus der Mitte des Volkes der Palästinenser immer wieder erwachsen.
Soll derjenige den sog. ersten Schritt tun, der - nach Jahrzehnten - nur mit seiner eigenen Gewalt auf eine fremde Gewalt antwortet, die ihn unablässig bedrückt?
Tel Aviv will oder kann nicht lernen.
Damals 1982 im Libanon hat die Israelische Armee die letzten Getreuen der Fatah um Arafat mit ihm aus Beirut vertrieben.
Hat sich seitdem etwas geändert? Nein.
Die korrupte Fatah wurde 2006 vom Volk der Palästinenser abgewählt.
An ihre Stelle trat vor über 20 Jahren die Hamas, die sich mit ihren sozialen Einrichtungen ohne Korruption um die Bedürfnisse der Palästinenser kümmerte. Kümmern mußte, weil die Besatzungsmacht ihre Verpflichtungen nach dem Völkerrecht für die Versorgung der Bevölkerung nicht erfüllte und erfüllt.
Böswillige nennen sie aus diesem Grund die Partei mit den Suppenküchen.
Darum wird die Gewalt auf beiden Seiten so bestehen bleiben.
Zitat:
»Derzeit appelliert der Westen laufend an Israel,
sich wenigstens auf eine Waffenruhe einzulassen.« ( 1 )
Haben bisher die "vereinzelten" Appelle an Tel Aviv bewirkt, die Besiedlung einzustellen?
Tel Aviv läßt sich nicht mit Worten bewegen. Bisher hat es diese Fähigkeit nicht unter Beweis gestellt.
Im Gegenteil, den Worten aus Tel Aviv ist es gelungen, die Rechtsstaatlichen Demokratien Europas von der Druchsetzung des Völkerrechts abzuhalten.
Zitat:
»Protest gegen Israel - Weltweite Demonstrationen
In den USA protestierten mehr als 1.000 Menschen gegen die israelische Offensive.
In Dearborn, einem Vorort von Detroit, gingen am Dienstagabend fast 1.000 Menschen auf die Straße.
In New York und Los Angeles versammelten sich Hunderte Demonstranten vor den israelischen Konsulaten.« ( 1 )
Eine so schwache Öffentlichkeit wird in Tel Aviv nichts bewegen.
An den Zahlen fehlen mindestens noch drei Nullen.
Zitat:
»Ungeachtet des wachsenden internationalen Drucks setzte Israel seine Angriffe im Gaza-Streifen am Mittwoch aber unvermindert fort.« ( 1 )
In einem einzigen Punkt scheint sich das Gewissen zu bewegen.
Doch selbst da kommt noch von Tel Aviv eine andere Darstellung.
Zitat:
»Israel müsse alle Grenzübergänge zum Gaza-Streifen dauerhaft öffnen, forderten die Minister nach einer Sondersitzung am Dienstagabend. In das Autonomiegebiet müssten Lebensmittel, medizinische Hilfe und Treibstoff geliefert und Verletzte müssten in Sicherheit gebracht werden.« ( 1 )
Zitat:
»Großbritannien versprach
den Menschen im Gaza-Streifen unterdessen
zehn Millionen Dollar an Nothilfen.
Entwicklungsminister Douglas Alexander sagte am Mittwoch, das Geld sollte für Nahrungsmittel sowie Benzin eingesetzt werden.
"Hilfe wird in Gaza dringend benötigt", sagte er.
Die Situation für die Menschen verschlechtere sich von Stunde zu Stunde, Tausende litten.« ( 1 )
Die israelische Außenministerin Livni hat offensichtlich fundiertere Kenntnisse "aus der Nähe".
Zitat:
»Die von Frankreich geforderte Waffenpause im Gazastreifen lehnt Israel ab.
"Es gibt keine humanitäre Krise im Gazastreifen, und
deshalb ist eine Waffenpause für Hilfslieferungen
nicht notwendig“,
sagte die israelische Außenministerin Zipi Livni.
Ihr Land habe bereits für umfangreiche Hilfen gesorgt und werde diese noch aufstocken.« ( 2 )
Tel Aviv scheut bei seinen Kriegshandlungen die Beobachtung durch die Öffentlichkeit.
Stehen wir als "Zuschauer" wieder vor einem neuen Sabra und Shatila wie 1982 im Libanon?
Zitat:
»Die Journalistenvereinigung war vor den Obersten Gerichtshof gezogen,
weil die israelische Armee
ausländischen Korrespondenten den Zugang zum Gazastreifen verweigert hatte.
Damit war eine unabhängige Überprüfung der Berichte aus dem Palästinensergebiet nicht mehr möglich.
Dazu gehören beispielsweise Berichte,
wonach die israelische Armee Zivilisten oder zivile Einrichtungen angegriffen hat.
Andererseits konnten auch Vorwürfe der israelischen Armee nicht überprüft werden, wonach die radikal-islamische Hamas in Moscheen Waffenlager eingerichtet hat.« ( 1 )
Abbas ist zwischen den Fronten hin- und hergetrieben, wie 1995 in Oslo, als er als "unwissender" Unterhändler das Land der Palästinenser für eine "Autonome Selbstverwaltung" in die Hände von Tel Aviv "veruntreute".
Zitat:
»Unterdessen stellte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas
die direkten bilateralen Verhandlungen mit der israelischen Regierung infrage.
In einer vorab aufgezeichneten TV-Ansprache zum 44. Gründungstag seiner Fatah-Bewegung
sagte Abbas am Mittwoch:
"Wir werden nicht zögern, (diese Verhandlungen) auszusetzen,
wenn sie unsere unveräußerlichen Rechte gefährden oder
zum Deckmantel für eine Aggression werden."« ( 2 )
Ob Herr Volker Perthes diese Äußerung der Kanzlerin mit einer rechtzeitigen "Beratung" hätte beeinflussen können?
Zitat:
»SPD kritisiert Merkel für einseitige Schuldzuweisung
In Deutschland kritisierte der SPD-Außenexperte Rolf Mützenich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für die einseitige Schuldzuweisung an die radikal-islamische Hamas.
"Es kommt zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht darauf an, über Schuld in diesem Zusammenhang zu diskutieren", sagte er dem NDR am Mittwoch.
Die deutsche Regierung müsse jetzt geschlossen für eine Waffenruhe eintreten.
Er bedauere, dass die Kanzlerin hier einen anderen politischen Akzent gesetzt habe.
Merkel hatte die Verantwortung für die Eskalation nach Angaben eines Regierungssprechers "eindeutig und ausschließlich" der radikal-islamischen Hamas zugewiesen.« ( 1 )
Ob das Verhältnis der Zahlen über die toten Menschen etwas über das Verhältnis der angewandten Gewalt aufschlüsselt?
Zitat:
»Nach palästinensischen Angaben
starben bei der am Samstag begonnenen Militäroffensive Israels bislang mindestens 400 Palästinenser, etwa 2.000 wurden verletzt.
Nach Angaben eines Sprechers des UN-Hilfswerkes für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) handelt es sich bei mindestens jedem vierten getöteten Palästinenser um einen Zivilisten.
Bei mehr als 250 Raketenangriffen aus dem Gaza-Streifen
sind in Israel nach Armeeangaben bislang vier Personen getötet worden.« ( 2 )
Begonnen hat die Hamas ihren - "Israel vernichtenden" - Beschuß mit den ungesteuerten Qassem-Raketen, zwei Meter lange Metallrohre, nur gefüllt mit Treib- und Sprengstoff - ohne elektronische Zielvorrichtung.
Mitten in der Bombardierung durch Israels Luftwaffe erweitert die Hamas den Radius ihrer Raketen.
Zitat:
»Allein am Mittwoch schlugen nach Armeeangaben mehr als 60 Raketen auf israelischem Boden ein.
Weil die Reichweite der Raketen immer größer wird, sind nach Angaben von Polizeisprecher Micky Rosenfeld rund eine Million Menschen durch den Beschuss gefährdet.« ( 2 )
Leuchtet da ein Hoffnungsstern aus dem Beraterkreis der Bundesregierung?
Zitat:
»Nur eine Rückkehr zu glaubwürdigen Verhandlungen
über die Grenzen Israels und des palästinensischen Staats,
über Jerusalem, die Siedlungen, die Flüchtlinge
wird die Hamas und den iranischen Einfluss schwächen.« ( 3 )
Bei diesen Worten steigt das bekannte Unbehagen auf.
Nicht die Durchsetzung der Lebensrechte der Palästinenser nach dem Völkerrecht ist das Ziel, sondern die Schwächung der Hamas und der Einfluß aus dem Iran.
Wie "glaubwürdig" werden diese Verhandlungen geführt werden?
Bei diesem Krieg im Gaza scheint offenbar an die UN-Charta überhaupt nicht gedacht zu werden.
Oder steht sie den "Mächtigen" mit ihren Forderungen an sie u.U. "im Weg"?
UN-Charta - Artikel 51:
Das Recht auf Selbstverteidigung
Der Wortlaut des Artikels in der deutschen Übersetzung.
UN-Generalsekretär Kofi Annan mahnte vor der UN-Vollversammlung,
dass der Artikel 51 der UN-Charta zwar das Recht auf Selbstverteidigung regele,
aber keinen Präventivkrieg ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates erlaube.
Artikel 51 der
am 26. Juni 1945 unterzeichneten
Charta der Vereinten Nationen
im Wortlaut - offizielle Übersetzung :
"Diese Charta beeinträchtigt
im Falle eines bewaffneten Angriffs
gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen
keineswegs das naturgegebene Recht
zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung,
bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit
erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
Maßnahmen,
die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft,
sind dem Sicherheitsrat sofort anzuzeigen;
sie berühren in keiner Weise
dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis und Pflicht,
jederzeit die Maßnahmen zu treffen,
die er zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und
der internationalen Sicherheit für erforderlich hält."
"Das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung", das die UN-Charta festschreibt, soll für die Bevölkerung unter einer Besatzung, die seit vier Jahrzehnten ungehindert das Völkerrecht bricht und die Menschenrechte mißachtet, nicht gelten?
"bis der Sicherheitsrat die zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat."
Wie haben die Rechtsstaatlichen Demokratien Europas die Rechte des Palästinensischen Volkes auf sein Land, seinen Lebensraum und seine Menschenwürde bisher verteidigt?
Solange die Rechtsstaatlichen Demokratien Europas im Einklag mit der Besatzungsmacht in Palästina dem Völkerrecht nicht die Geltung verschaffen, werden sie auch keinen Frieden durch Gerechtigkeit bewirken, wie es die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland in ihrem ersten Artikel bekennt.
Wie kann die erste Kanzlerin Deutschlands im Bewußtsein der Geschichte Palästinas die alleinige Verantwortung für die Entwicklung der Gewalt in der Region nur bei der Hamas finden?
Auf ihrem Lebensweg als Wissenschaftlerin und Physikerin müßte ihr die Reihenfolge von Ursache und Wirkung mehr als vertraut sein.
Sind die Worte vermessen, die den zügellosen Zorn aus Tel Aviv in sich aufnehmen, mit dem die Regierung in Tel Aviv ihre Landnahme gegen die Menschen sich austoben läßt, die seit vier Jahrzehnten durch eine Rechte raubende und die Menschenwürde mißachtende Besatzung in einen Lebensraum wie in ein Gefängnis zurück gedrängt werden.
Die Rechtsstaatlichen Demokratien Europas schicken ihre Soldaten für die Demokratie auf den Balkan, an die Seegrenze des Libanon, um die Waffen von der Hisbollah fern zu halten, in den Irak, nach Afghanistan und gegen die Piraten, die ihre Handelswege im Indischen Ozean bedrohen.
Aber sie haben keine Soldaten für den Schutz der Menschen in Palästina, um für sie die im Völkerrecht niedergeschriebenen Rechte durchzusetzen und damit ihre eigenen Verpflichtungen aus dem selben Völkerrecht zu erfüllen.
Als Deutscher Staatsbürger und als Europäer erfüllt mich diese Wahrheit mit tiefer Scham.
Diese Scham stellt sich mit geneigtem Kopf neben das Gedenken für den Völkermord an den Juden im Deutschland der Nationalsozialisten.
Oder soll ich mich auf einen Bulldozer setzen und mit ihm gegen die Trennmauer durch Palästina fahren?
6 Tevet 5769 * 2. Januar 2009 © Heinz Kobald
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( 1 ) SZ, 31.12.2008, 22:00 Uhr
Krieg im Gaza-Streifen - Bush: Erster Schritt muss von Hamas ausgehen
AP / dpa / Reuters / akh / pak / mel / dmo
( 2 ) SZ, 01.01.2009, 15:23 Uhr
Krieg im Gaza-Streifen - Mit "eiserner Hand": Hamas-Führer getötet
dpa / Reuters / beu / mel
( 3 ) SZ, 01.01.2009, 11:13 Uhr
Nahost-Konflikt - Der Weg führt über Jerusalem
Die jüngste Gewalt-Eskalation im Gaza-Streifen macht erneut deutlich:
Hamas und der Ian können nur geschwächt werden,
wenn die Palästinenser endlich Aussicht auf einen richtigen Staat haben.
Eine Außenansicht von Volker Perthes
Volker Perthes
ist Direktor der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin.
Das Institut berät auch
die Bundesregierung in außenpolitischen Fragen.
( 4 ) SZ, 23.09.2003, 09:35 Uhr
UN-Charta - Artikel 51: Das Recht auf Selbstverteidigung
Der Wortlaut des Artikels in der deutschen Übersetzung.
sueddeutsche.de / dpa