Untersuchungshaft ohne Untersuchung
Eine Vernehmung der Klägerin vor dem Gericht im Urlaubsland erfolgte nicht.
( 1 )
Die Verteidigung des Angeklagten hatte bisher keine Möglichkeit, die Klägerin persönlich zu ihren Anschuldigungen zu befragen. ( 1, 2 )
Die Anklage wird in Form eines Videos erhoben, das im Wohnsitzstaat der Klägerin 6 Monate nach dem Zeitpunkt der angeblichen Tat aufgenommen wurde. ( 1 )
Das Gericht konnte dieses Viedeo innerhalb von 2 Monaten noch nicht in die Landessprache des Gerichtsortes übersetzen. ( Aufnahme Anfang Oktober, bis Ende November keine Übersetzung ) ( 1, 2 )
Die Klägerin hat noch an keinem der 7 Termine vor Gericht persönlich teilgenommen.
( 1 )
Von der Klägerseite ist angekündigtes Beweismaterial - Zeugen - dem Gericht nach 8 Monaten noch nicht vorgelegt worden. ( 2 )
Die Untersuchungshaft wird nach 8 Monaten immer noch mit Fluchtgefahr des Beklagten begründet ( 1, 2 )
Der Beginn der Verhandlung wird vom Gericht zum 7. Mal vertagt. ( 1 )
Das Gericht des Urlaubslandes hat bisher keine Androhungen von Zwangsmaßnahmen gegen die Klageseite verfügt, die Beweise für die Klage vorzulegen. ( 2 )
Welche Prüfungen der Haftgründe hat das Gericht im Urlaubsland bisher vorgenommen - außer der Behauptung einer vermuteten Fluchtgefahr auf der Seite des Beschuldigten?
Schutzbehauptungen werden i.d.R. von den Prozessbeteiligten während den Verhandlungen vorgetragen.
Ein Gericht darf nicht selbst an von ihm vorgetragenen Schutzbehauptungen schuldig werden.
Gleichbehandlung von Kläger und Beschuldigten
Bei einer noch nicht bewiesenen Anschuldigung
sollte nicht nur der Angeschuldigte in Untersuchungshaft zu nehmen sein,
sondern auch der Anschuldiger, der keine Beweise vorlegt.
Es müssten für beide Beteiligte an dem Prozess die selben Bedingungen gelten.
Die Anschuldigung allein - insbesondere eine nach über einem halben Jahr noch ohne Beweise erhobene - ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren kein Beweis für eine Schuld des Angeklagten.
So lange die Ermittlungen dauern, dürften - in bestimmten Verfahren - für den Kläger und den Beschuldigten nicht unterschiedliche Lebens- bzw. Haftbedingungen gelten.
Während der Beschuldigte - noch ohne Beweise für seine Schuld - bereits länger als ein halbes Jahr im Gefängnis sitzt, erfährt der Ankläger für seine Lebensgestaltung keine Einschränkungen seiner Freiheit.
Obwohl er selbst keine Beweise für die von ihm erhobene Anschuldigung vorgelegt hat. Solange die Schuld des Angeklagten nicht bewiesen ist, solange dürfte auch die Beschuldigung nicht als wahr angenommen werden.
In der verstrichenen Zeit von acht Monaten finden auch keine Untersuchungen von Schuldbeweisen statt.
Womit soll eine Untersuchungshaft begründet sein, wenn keine Vernehmungen des Klägers und seiner Zeugen und keine Verhandlungen vor dem Gericht stattfinden, sondern nur neue Vertagungen.
Solange der Kläger keine Beweise vorlegt, sollte auch er in Untersuchungshaft genommen werden, da auch seine Person zum Gegenstand der Emittlungen geworden ist - nicht nur der Angeklagte.
Das Gericht prüft nicht nur in Richtung Angeklagten nach seiner Schuld,
sondern auch in Richtung Ankläger, ob dessen Anschuldigungen begründet sind.
Solange die Anschuldigung unbegründet ist, sollte aus Gründen der Gleichbehandlung von Kläger und Angeklagten wegen des fehlenden Beweises einer Schuld, bei - bestimmten erfüllten Bedingungen - auch für den Kläger eine Untersuchungshaft anzuordnen sein, wenn der Beschuldigte aufgrund unbewiesener Beschuldigungen in Untersuchungshaft genommen wird.
Das gilt insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Fluchtgefahr für die Person des Anklägers, sollte das Gericht bei der Verhandlung feststellen, seine Klage ist unbegründet und er selbst müßte für eine Strafe in Haft genommen werden.
Angenommen, was geschieht, wenn
sich bei dem Prozess heraustellen sollte,
die Anklage fällt mangels Beweisen in sich zusammen und
die Klägerin selbst müßte wegen falscher Anschuldigung
eine Strafe in ihrem Urlaubsland bzw. dem Gerichtsstaat antreten?
Würde ihr Wohnsitzstaat sie an die Gerichtsbarkeit ihres Urlaubslandes ausliefern?
Hätte danach das Gericht des Urlaubslandes in grob fahrlässiger Weise eine Flucht der Klägerin begünstigt?
Aufgrund dieser Tatsache sogar einen Strafvollzug billigend vereitelt?
Wie würde das Opfer der unbewiesenen Anschuldigung eine Entschädigung vom Kläger erhalten?
Müßte nicht auch das Urlaubsland bzw. der Gerichtsstaat wegen unsachlich verschleppter Ermittlungen zu einer Entschädigung herangezogen werden?
Das Gericht darf sich selbst der Möglichkeit nicht verschließen, daß eine Anklage auch aus dem Grund erhoben werden könnte, damit eine vom Ankläger selbst begangene Straftat zu verdecken.
Die Ruhepflicht der Politik in Gerichtsverfahren
Aus den Nachrichten des Bayerischen Rundfunks vom 22. November 2007 um 23:00 Uhr.
Zitat:
» ... denkt die Bundesregierung darüber nach,
eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu unterstützen.
Auch das Europaparlament wurde eingeschaltet, ebenso verfolgt die EU-Kommission den Fall.« ( 3 )
Zitat:
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich denn auch zurückhaltend.
Im Fernsehsender RTL sagte sie:
"Wir werden jetzt erst einmal das tun - wenn wir überhaupt was tun können - was dem Jungen hilft,
und ich glaube, das sollten wir lieber nicht mit einer großen politischen Diskussion verknüpfen, über die man unterschiedlicher Meinung sein kann."
Die Bundesregierung will jeden Eindruck vermeiden, dass sie Druck auf die türkische Justiz oder die Regierung in Ankara ausübt.
Sie fürchtet, dies könne die Probleme des Jungen weiter vergrößern. ( 4 )
Die Ruhepflicht für die Politik besteht dann nicht, wenn ein Gerichtsverfahren verdichtete Anhaltspunkte zu Beanstandungen von gravierenden Rechtswidrigkeiten gibt.
22. November 2007 © Heinz Kobald
__________________________________________
( 1 ) Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 268, 21. November 2007, Seite 12
Marco W. kommt wieder nicht frei
Verhandlung wird von türkischem Gericht zum siebten Mal vertagt
Kai Strittmatter
( 2 ) Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 268, 21. November 2007, Seite 4
Marco, schon verurteilt
Verfasser: ttt
( 3 ) Quelle:
Die Nachrichten des Bayerischen Rundfunks
22. November 2007, 23:00 Uhr
Fall Marco zieht weitere Kreise
( 4 ) Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 270, 23. November 2007, Seite 1
Politiker setzen sich für Marco W. ein
Auch Bundesregierung erwägt, dem 17-Jährigen zu helfen,
der seit sieben Monaten in türkischer Haft ist
Von Nico Fried und Paul-Anton Krüger
ergänzt am 26. November 2007