Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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Angriff auf die Toleranz
Merkel am Rednerpult, Foto: AP


Mit Null-Toleranz gegen Intoleranz ?



Was versteht die Kanzlerin
unter dem Begriff der Toleranz?


Toleranz gegenüber der Presse in dieser Republik, die das Völkerrecht nicht benennt, gegen das der Staat verstößt und dem führende Politiker in unserer Republik sogar einen Ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz für sein Existenzrecht verschaffen wollen?

Ist das der Große Blinde Fleck, den die Schmach über den Völkermord in einem "anderen" Deutschland vor sechzig Jahren immer noch nicht heilen lässt, so daß die offenen Augen nicht sehen, welches Unrecht einem anderen Volk in unmittelbarer Nähe durch Aberkennung jeden Rechtes auf sein Leben, auf sein Land, von uns - wieder - angetan wird?

Zitat aus der Pressemitteilung:
"Toleranz bedeutet,
einen Standpunkt zu haben und für seine Werte einzutreten",
erklärte Merkel.


Das klingt eher nach Rechthaberei!
Toleranz ist, wenn ich einen Standpunkt habe - und - den anderen Standpunkt meines Gegenübers anerkenne.
Ob hier die Kanzlerin mit ihren Worten die so ausgelegte Toleranz mit der Zivilcourage verwechselt?

Was sagt der "Brockhaus" dazu - um nicht meine unbedeutende Ansicht der Kanzlerin an der Spitze unserer Demokratie - so untolerant - gegenüber zu stellen.

aus Meyers Neues Lexikon in 8 Bänden, Ausgabe 1981 zu

Toleranz [lat. Zu tolerare "ertragen, erdulden"],
"Handlungsregel für das Geltenlassen der religiösen, ethisch-sozialen, politisch-, wissenschaftlich- philosophischen Überzeugungen, Normen, Werte und Wertesysteme sowie der ihnen entsprechenden Handlungen anderer;
Im eigentlichen Sinne die Duldsamkeit gegenüber (religiösen) Glaubensüberzeugungen anderer, vor allem in Staat und Gesellschaft.
Beginnend mit der Reformation, propagiert vor allem durch die Aufklärung, hat Toleranz als Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Bekenntnisfreiheit, Kultusfreiheit und Religionsfreiheit im Staatsrecht, in den Grundrechten und in den Menschenrechten zunehmend Rechtsverbindlichkeit erlangt.
Toleranz wurde von der Aufklärung gefordert, um die freie öffentliche Entfaltung der autonomen Kritik zu ermöglichen.
Sie ist eine der Vor- und Grundbedingungen freier, rationaler Auseinandersetzungen zwischen konkurrierenden Wahrheits- und Geltungsansprüchen von Erkenntnissen und Normen.
In Staat und Gesellschaft, besonders in "geschlossenen" Gesellschaftssystemen, hat die Toleranz eine doppelte Schutzfunktion: Sie schützt zum einen das allgemein geltende gesellschaftlich und politische Normen- und Wertesystem vor Infragestellung und Auflösung, indem Normen und Werte anderer toleriert, d.h. hingenommen werden;
zum anderen bewahrt sie jene Andersdenken vor Repressionen, Diskriminierung und ( im ungünstigsten Fall ) vor psychischem Terror und physischer Ausrottung.
Somit ermöglicht Toleranz Humanität und schafft die Voraussetzungen für ein friedliches Austragen der Konflikte.
Eine pluralistische Gesellschaft ist ohne Toleranz nicht funktionsfähig; in den freiheitlichen Demokratien ist Toleranz eine fundamentale Vorsaussetzung für eine [ repressions ] freie, rational verfahrende demokratische Willensbildung, die der Minderheitsmeinung prinzipiell als notwendiger ( oppositioneller ) Alternative bedarf."

Anmerkung: Abweichungen im Text betreffen nur ausgeschriebene Abkürzungen

Zitat aus der Laudatio:
"Denn Toleranz muss erfahren, gelernt und praktisch gelebt werden.
Unsere Gesellschaft braucht für ihre Zukunftsfähigkeit mehr aktive Toleranz.
Wir brauchen Offenheit gegenüber der Zukunft und ihren Chancen, gegenüber neuen Wegen, Unbekanntem und anderen Kulturen.
Toleranz ist aber alles andere als Beliebigkeit.
Toleranz ist die Fähigkeit zum ernsthaften Dialog,
den anderen als Andersdenkenden zu akzeptieren und als Bereicherung zu verstehen.
Toleranz bedeutet, einen eigenen Standpunkt zu haben und für seine Werte einzutreten."

Wenn hier die Toleranz ohnehin schon als nicht beliebig erkannt worden ist, wozu dann noch eine aktive Toleranz?
Toleranz bedeutet nicht, einen eigenen Standpunkt zu haben, sie setzt ihn als Grundlage voraus, denn die Toleranz weist in ihrem Ziel in die andere Richtung auf den anderen Standpunkt, dem ich von meinem aus gegenüber trete. Toleranz soll ja nicht daran hindern, einen eigenen Standpunkt zu haben oder ihn auch zu vertreten, sondern die Toleranz fordert von mir, durch eine Auseinandersetzung - ein Kennenlernen - mit Anderem auch eine mögliche Anerkennung des Anderen.

Zitat aus der Pressemitteilung:
"Unsere Gesellschaft, so die Kanzlerin, brauche mehr aktive Toleranz."


Was verlangt die Kanzlerin mit der "aktiven" Toleranz von uns?
Das habe ich gelernt, wenn in verschiedenen Meinungen neue Begriffe auftauchen, zuerst diese Begriffe zu klären, d.h. dass beide Seiten herausfinden, was jede Seite unter einem jeweils verwendeten Begriff versteht.
Wird in einem Programmablauf eine Funktion "aktiviert", dann bedeutet das, sie wird aufgerufen, ihre Arbeit zu erledigen.

Zitat aus der Laudatio:
"Ich teile die Hoffnung, die Charlotte Knobloch bei der Einweihung der neuen Hauptsynagoge in München so in Worte fasste ? ich zitiere ?:

"Von heute an wird der 9. November nicht nur ein Symbol der Vergangenheit sein, sondern hoffnungsvoller Ausdruck des friedlichen Miteinanders für die Zukunft."

Meine Damen und Herren, ich darf hinzufügen: Aus dieser Hoffnung muss Wirklichkeit werden. Gelingen kann das mit aktiver Toleranz."

Bei der Aufforderung zur Toleranz gegenüber unseren Mitbürgern Jüdischen Glaubens beschleicht mich ein Unbehagen. Noch dazu, wenn ich sie mit einem unnötigen Zusatz versehen sehe. Bestünde hier vielleicht eine Verunsicherung im Bewusstsein, was Toleranz wirklich bedeutet? Sind denn die Juden in Deutschland schon wieder die "Neuen Fremden", denen ich mit Toleranz begegnen soll? Wozu hier die Toleranz so unnötig heranzerren? Sind nicht Juden ebenso Mitbürger wie Katholiken und Protestanten - und Moslems? Oder braucht der Nord-Deutsche tatsächlich Toleranz bei der Begegnung mit einem Süd-Deutschen?

Ist es nicht geradezu eine Überheblichkeit, wenn Deutsche den hier - wieder - lebenden Juden mit Toleranz begegnen sollen?
Bringen hier nicht die Juden durch ihr Wieder-Hiersein eben diese Toleranz uns gegenüber auf?
Haben Juden als die "Vielen Helfer" deutsche Kinder, Mütter, Väter und Großeltern in Konzentrationslagern zu Millionen umgebracht?
Unsere Kanzlerin ruft uns allen Ernstes zur Toleranz gegenüber den Juden in Deutschland auf?
Dann ist der Zusatz "aktiv" doch nichts anderes als der Versuch, einen Nachdruck zu setzen, der eine zwar unbewusste aber tief vorhandene Verunsicherung ans Licht befördert.

Zitat aus der Pressemitteilung:
"Es gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz."


Hier setzt die Kanzlerin ein anderes Vorzeichen vor die Toleranz, ein mathematisches, mit dem Wert "null".
Das bedeutet "mathematisch", die Toleranz wird auf "null" herab gesetzt, also "de-aktiviert".
Selbst das so einsichtig klingende Leitmotiv der Kanzlerin mit dem Nullwert für Toleranz verkehrt geradezu das Wesen der Toleranz in ihr Gegenteil.

Die Toleranz ist jedoch ein feststehender Begriff, der jeden Parameter entbehren kann, so klar und eindeutig ist sein Wesen und sein Anspruch. Als Gegensatz zur Toleranz stellt sich die Intoleranz entgegen.
Zusätze wie "aktive" Toleranz und "null" Toleranz beginnen hier ein Werk der Erosion, allein schon durch ihren Gebrauch - und - durch ihre Gegensätzlichkeit.

Toleranz ist Toleranz. Wer das begriffen hat, muß nicht für Toleranz einmal "aktiviert" und zum anderen Male auf "null" gesetzt werden. Sind wir noch Menschen mit Toleranz ? - oder ohne Toleranz ? dann sind wir intolerant ! Zwischentöne oder das Herum-Schalten-und-Walten an einem erfundenen "Parameter" für Toleranz gibt es nicht.

Es ist ethisch, kulturell und politisch äußerst bedauernswert, wenn dieser Sinn-Begriff der Toleranz durch den Mißbrauch in der Politik auf diese Weise entehrt und in sein Gegenteil verkehrt wird.

Toleranz ist ein so hoch anzusetzendes ethisches Gut in einer Gesellschaftsordnung und stellt eine der wichtigsten tragenden Säulen für das Wesen der Demokratie. ( siehe oben unter "Brockhaus" )
Durch das Einhämmern der Worte "Keine Toleranz" wird am Ende die Toleranz selbst im Kampf gegen die Intoleranz nur auf blutige Weise geopfert werden.
Im Klartext hat die Kanzlerin nur die Intoleranz gegen die Intoleranz gestellt, denn was bedeutet schon "Null Toleranz"?

Sehr zu empfehlen wäre daher, den Begriff Toleranz im Kampf gegen die Intoleranz ganz aus dem Spiel zu lassen.
Denn mit ihrer Abnützung werden die sog. Grundwerte, auf die unsere westlich- christliche Gesellschaft aufgebaut ist, nur unnötig und unbedacht in die Gefahr gebracht, verfälscht zu werden.

Zitat aus der Laudatio:
"Auf den Punkt gebracht: Es gibt null Toleranz gegenüber Intoleranz.
Wir brauchen klare Grenzen gegenüber denjenigen, die Andersdenkenden, Andersfarbigen oder Andersgläubigen Respekt verweigern und
klare Grenzen gegenüber denjenigen, die eine offene und plurale Gesellschaft bekämpfen.
Das heißt, wir müssen unmissverständlich gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eintreten. Wir können und wir werden es nicht hinnehmen,
wenn Gräber und Denkmäler geschändet oder Bücher verbrannt werden.
Wir werden es nicht dulden,
wenn Menschen verunglimpft, bedroht und verletzt werden
oder gar um ihr Leben fürchten müssen.
Wir müssen Gesicht und Zivilcourage zeigen,
um der Tragfähigkeit unserer Demokratie und um der Humanität in unserer Gesellschaft willen."

Hier spricht die Kanzlerin das an, zu dem sie mit dem Aktivieren und der auf NULL-Setzung der Toleranz so ungeschickt herum hantiert. Auch die Toleranz braucht "klare Grenzen". Es ist daher ein "sprachlicher" Unfug, die Null-Toleranz der Intoleranz gegenüber zu stellen, ohne sie ihr gleichstellen zu wollen, sondern sie sogar zur Bekämpfung der Intoleranz "gebrauchen" zu wollen.

Außerdem hält das Grundgesetz für uns eine eindeutige Forderung bereit.

Artikel 20 Abs. 4 GG

"Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen,
haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand,
wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."

Diese Forderung des Grundgesetzes hat unser früherer Bundespräsident Johannes Rau mit seinen Worten angesprochen.

Zitat aus der Laudatio:
"Johannes Rau hat einmal gesagt ? ich zitiere ?:

"Manchen ist zu wenig bewusst,
welch große zivilisatorische Errungenschaft es ist,
dass in einer pluralen Gesellschaft Menschen friedlich miteinander leben,
die ganz unterschiedliche Überzeugungen haben.
Dies muss jeden Tag neu geübt und neu gelebt werden."

Wie recht Johannes Rau mit dieser Aussage hat,
das kann jeder von uns im täglichen Leben bei uns erfahren.
Es gibt sehr viele Wege, sich für Verständigung und Toleranz einzusetzen."

Es geht also hier weder um aktive Toleranz oder null Toleranz, sondern um den aktiven - wenn schon was aktiviert werden soll ! - Widerstand gegen die Angriffe auf unsere Verfassung, auf ihr oberstes Gebot, die Würde jedes Menschen zu schützen, wenn sie angegriffen wird.
Einen "untätigen" Widerstand, also einen nicht aktiven, kann ich mir auch gar nicht vorstellen, entweder Widerstand oder keinen.

Wenn wir jedoch mit Null-Toleranz gegen die Intoleranz ankämpfen wollen, dann haben wir wieder einmal in der "Besten Absicht" die Toleranz "meuchlings gemordet"

Es ist auch ein taktischer, wenn nicht gar strategischer Fehler, der anderen Seite durch die Zuerkennung des Prädikates der Intoleranz eine Aufwertung zu gewähren, dem dann mit der NULL-Toleranz begegnet werden soll? Diese "Sicht" ist zugleich zu einfach und zu verführerisch.

Wie soll denn eine Auseinandersetzung mit der Intoleranz über die NULL-Toleranz "im Tornister" ausgetragen werden? Da schlagen nur zwei Keulen der selben Bauweise aufeinander ein, ohne den anderen zu irgend einer Einsicht zu führen.

Bei dieser Auseinandersetzung sind ganz andere ethische Normen, andere Handlungsweisen verlangt.
Wie z.B. die Zivilcourage als Ausdruck des Widerstandes.
Auch das beinhaltet das Widerstehen, das Unwissen auf der Seite der sog. Intoleranz herausfinden und es in die Öffentlichkeit zu stellen. Den Angriff des Wissens auf diese Schwarzen Löcher des Unwissens zu führen.
Wissen und Bildung schaffen die Voraussetzungen für den Aufbau einer Argumentation in der Auseinandersetzung der verschiedenen "Meinungen".

Wer dann den "Endsieg" davon getragen hat, das ist unzweifelhaft die Intoleranz.
Sie ist durch den glorreichen Angriff der NULL-Toleranz potenziert worden.
Belzebub hat sich Belzebub zum Tanz geladen.

Gute Nacht Abendland - christliches !


6 kislev 5767 * 27. November 2006 © Heinz Kobald


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Jüdisches Museum verleiht "Preis für Verständigung und Toleranz"
Die diesjährigen Preisträger sind der BMW-Manager Helmut Panke sowie der Dirigent und Pianist Daniel Barenboim.
In ihrer Laudatio auf Helmut Panke hob Bundeskanzlerin Angela Merkel den Beitrag von BMW zum Gemeinwohl hervor.
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung - Veröffentlicht am: Sa, 18.11.2006


Sa, 18.11.2006
Laudatio von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf Helmut Panke
anlässlich der Verleihung des "Preises für Verständigung und Toleranz"
des Jüdischen Museums in Berlin