Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
Startseite / EUROPA / Das Schweigen Europas
Das Schweigen Europas
Ein Plädoyer
im Interesse Israels
Von Judith Bernstein



Die Dolmetscherin Judith Bernstein wurde 1945 in Jerusalem als Tochter deutscher Emigranten geboren und lebt seit 1976 in München.
Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Historiker Reiner Bernstein, engagiert sie sich für die israelisch-palästinensische "Genfer Initiative".

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Nr. 142, 23. Juni 2006, Seite 12


Das Schweigen Europas


"Nach einer dreiwöchigen Reise durch Israel und die palästinensischen Gebiete scheint mir die Situation in der Region aussichtsloser denn je zuvor.
Ich bin in Israel aufgewachsen und bemühe mich seit vielen Jahren, die Kontakte zu beiden Seiten aufrechtzuerhalten sowie Israelis zu Gesprächen mit Palästinensern zu ermutigen.
Jedes Mal, wenn ich nach Tel Aviv und Jerusalem fahre, hoffe ich, dass Anzeichen der Entspannung - von Frieden will ich nicht mehr reden - zu erkennen sind.
Doch das Gegenteil ist der Fall.
Ich sehe, dass viele Israelis am Ben-Gurion-Flughafen mittlerweile auch Touristen feindselig und wie unerwünschte Personen behandeln,
ganz zu schweigen von den zahllosen Checkpoints,
an denen Palästinenser drangsaliert und gedemütigt werden.
Anscheinend wissen die Wachhabenden nicht, was sie tun.

Und was tut Europa?
Wir schauen schweigend zu.

( ... )

Da die Regierungen in Berlin und in anderen Hauptstädten nicht den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen, nehmen andere das Heft der öffentlichen Meinungsbildung in die Hand.
Mittlerweile werden in England, Schweden und Kanada die Aufrufe zum Boykott israelischer Institutionen und Personengruppen immer lauter.
Mein Resümee:
Nicht diejenigen, die Israels Politik kritisieren,
fördern den Antisemitismus,
sondern diejenigen, die schweigen und damit zulassen,
dass das Bild vom hässlichen Israeli und
inzwischen auch vom hässlichen Juden überhand nimmt.

( ... )

Ich bin in Bethlehem, einer von Mauern umzingelten Stadt, in der die palästinensischen Familien auseinander gerissen und von ihren Feldern getrennt sind.
Ich bin in Hebron, einer Stadt, in der es 400 Siedler mit Hilfe des Militärs geschafft haben, dass viele Palästinenser ihre Häuser und Geschäfte verloren haben, dass ganze Viertel verödet sind.
Internationale Beobachter haben nicht die Befugnis, für Recht und Ordnung zu sorgen. Stattdessen fertigen sie Protokolle an, die in westlichen Amtsstuben in den Schubladen verschwinden.

Was tun wir in Europa angesichts solch unhaltbarer Zustände?
Wir schauen zu und schweigen.


Ich habe auch während meines jüngsten Aufenthalts versucht, politische Besucher aus Deutschland anzusprechen und an ihre Verantwortung zu appellieren.
Doch mehr als einmal bin ich belehrt worden:

Das Protokoll lasse keine offiziellen Besuche an der "Mauer" zu,
Treffen mit Palästinensern dürften lediglich privaten Charakter haben:
Man müsse dem möglichen Vorwurf des Antisemitismus vorbeugen.

Doch mit dieser Spirale des Schweigens
erreicht man das genaue Gegenteil.

( ... )

Heute bin ich nicht mehr sicher, ob die Geschichte mich, meine eigenen Kinder oder spätestens meine Enkelin einholen wird.
Werden wir dann mit Fug und Recht behaupten,
wir hätten von nichts gewusst?


Dass viele Israelis nicht wissen, was in ihrem Namen geschieht, halte ich für möglich, weil die Medien die Palästinenser nur dann wahrnehmen, wenn es über Gewalttaten zu berichten gilt.
Und schließlich sorgen die "Trennungsmauern" dafür, dass sie nicht sehen, was hinter diesen Mauern geschieht.
Die israelischen Behörden verweigern ihren Staatsbürgern die Einreise in die palästinensischen Gebiete, damit keine Zweifel aufkommen, ob das Handeln der Soldaten und der Siedler tatsächlich etwas mit "Sicherheit" zu tun hat.

Aber wir?
Wir wissen - und machen uns mitschuldig,
wenn wir unsere Stimme nicht erheben."


_____________________________________________

Das Plädoyer von Frau Judith Bernstein ist

auf der Website von Herrn Dr. Reiner Bernstein
- Unterstützung der Genfer Initiative -


und auf der Website der
Genfer Intitiative

in Volltext-Version zu lesen.


30 Sivan 5766 * 26. Juni 2006 * Heinz Kobald