Der unerträgliche Standpunkt

Heinz Kobald

  
 
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China zensiert das Internet

Übertönt vom verbalen Schlagabtauschen über Demokratie und Menschenrechte wird eine Entwicklung übersehen, die sich still und heimlich in das Verhältnis Chinas zum Westen eingeschlichen hat.

China hat begonnen, uns zu verändern.

»Während wir weiter davon träumen, in Peking als Schulmeister in Sachen Menschenrechte oder Ethik auftreten zu können, stellt das totalitäre System der chinesischen Entwicklungsdiktatur zunehmend unsere eigenen Werte in Frage.
Ein Beispiel ist die Wirtschaftsmoral internationaler Konzerne, die deutlich unter dem Chinarausch ihrer Manager leidet.
So hat etwa die Internetfirma Yahoo kürzlich den chinesischen Sicherheitsbehörden den Zugriff auf ihre Computer erlaubt.
Die konnten daraufhin dem chinesischen Journalisten Shi Tao das Versenden regimekritischer E-Mails nachweisen.
Der Journalist wurde zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.

Yahoo hatte erst zuvor eine Milliarde Dollar in Chinas größte Online-Firma alibaba.com investiert.
Amerikanische Firmen liefern der kommunistischen Diktatur auch die Software und das Know-how für ihren massiven Versuch, das Internet zu zensieren.
Cisco Systems und Microsoft, um nur zwei Beispiele zu nennen, sind für solche Geschäfte in die Schlagzeilen geraten.
Der Sog des chinesischen Marktes und das dort herrschende politische Klima haben begonnen, den ethischen Kompass westlicher Geschäftsleute endgültig durcheinander zu bringen.
Auch eine weitere Säule unseres freiheitlich-demokratischen Systems wird von vermeintlichen Marktzwängen in China angenagt.
Die Presse- und Meinungsfreiheit in den USA und in Europa ist in Gefahr, von dem beeindruckenden Wirtschaftswachstum Chinas und der Gier westlicher Manager eingeschränkt zu werden.
Die China-Berichterstattung wird aufgrund liebedienerischer Selbstzensur immer unkritischer.
Westliche Medien "sollten vermeiden, der chinesischen Regierung gegenüber unnötig offensiv zu sein", hatte ein Manager des Medienkonzerns Viacom schon vor Jahren auf einem Seminar des Magazins Fortune in Schanghai gesagt.
Großverlage in den USA haben mit Hinblick auf die Investitionen ihrer Konzerne in China begonnen, euphorische Sonderhefte über China zu drucken. Wenn ihre Leser nun immer häufiger die beeindruckenden Wolkenkratzer in Schanghai auf den Titelblättern sehen, aber immer weniger über Massenarbeitslosigkeit, Korruption oder Menschenrechtsverletzungen lesen, dann stecken dahinter handfeste wirtschaftliche Interessen.
Europäische Medien imitieren oft dieses unkritische Chinabild, orientieren sich an den US-Medien. ( ... )
Denn je weniger wir China verändern, desto chinesischer könnten wir eines Tages sein


Quelle:
Süddeutsche Zeitung, Nr. 268, 21. November 2005, Seite 4
Wer verändert wen ?
von Henrik Bork